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Unternehmensgründung in der Krise: Die Lokale Lösung 

Der Handwerksmeister Kalman Andrasfalvy gründete mitten in der Corona-Krise eine Firma. Wie das geht und warum das Modell erfolgreich trägt, erklärt er im Interview. 


regenauer.press | 02.05.2021 | Lesezeit: 5 Minuten

RP: Herr Andrasfalvy, wollen Sie sich den Lesern zunächst kurz vorstellen?


KA: Gerne. Mein Name ist Kalman Andrasfalvy. Ich wurde 1985 geboren, habe ungarische Wurzeln, bin aber in Muggensturm bei Rastatt aufgewachsen. Nach dem Abitur habe ich zunächst ein Architekturstudium begonnen, später aber auf das Handwerk umgeschwenkt und einen Meisterbrief erworben. Das praktische Arbeiten machte mir mehr schlichtweg mehr Freude als die Theorie. Ich war zudem schon immer begeistert von filigranen Werkstücken und künstlerischen Arbeiten, lese und schreibe viel und mache in meiner Freizeit Musik.


RP: Wie heißt ihre Firma, in welcher Region sind Sie tätig und was bieten Sie an?


KA: Mein Unternehmen heißt »Die Lokale Lösung« und hat seinen Sitz in Gaggenau. Primär bieten wir Bodenlege- und Parkettarbeiten an. Außerdem übernehmen wir die Restauration von alten, hochwertigen Böden. Hin und wieder fertigen wir auf Anfrage auch Möbel, also Einzelstücke, zum Beispiel Holztische mit aufwändigen Intarsien.


RP: Wie lange besteht das Unternehmen und wie hat sich die Auftragslage seit der Gründung entwickelt? Die vergangenen zwölf Monate waren für die meisten Unternehmer ja eine wirkliche Herausforderung.


KA: Das stimmt. Viele Unternehmen des Mittelstandes kämpfen ums Überleben und verzeichnen seit März 2020 signifikante Umsatzeinbußen. Ich dagegen kann nicht klagen. Seit der Firmengründung am 1. Juli 2020 bin ich im Prinzip durchgehend zu 100% ausgelastet. Um den Jahreswechsel herum war es natürlich auch bei uns etwas ruhiger, die Krise hat sich bei uns aber bisher kaum bemerkbar gemacht. Qualität läuft immer.


RP: Aus welchen Gründen haben Sie sich überhaupt entschlossen, in wirtschaftlich derart turbulenten Zeiten einen Handwerksbetrieb zu gründen und das Risiko der Selbstständigkeit einzugehen?


KA: Ich war über ein Jahrzehnt als angestellter Handwerker in meinem Beruf tätig und erfolgreich. Vor einigen Jahren wurde dann aber Multiple Sklerose bei mir diagnostiziert. Daher erschien es mir wichtig, künftig selbst über meine Arbeitslast und Work-Life-Balance entscheiden zu können. Als Angestellter muss man in der Regel fünf Tage in der Woche arbeiten und Überstunden in Kauf nehmen – das erschien mir im Kontext der körperlichen Belastung langfristig zu wenig flexibel. Durch die Selbstständigkeit kann ich mir die Zeit freier einteilen, mich auf Qualität und anspruchsvolle Einzelaufträge konzentrieren, anstatt auf Großkunden, und bin daher weniger Zeitdruck ausgesetzt. Die Krankheit ist bisher unter Kontrolle und nur diagnostiziert. Und das soll auch so bleiben. Von daher war das auch der Fokus bei der Risikobewertung. Die betriebswirtschaftliche Seite hat mir nie wirklich Sorgen bereitet. Dafür ist die Nachfrage in der Branche zu groß. Am Ende hatte die MS-Diagnose also durchaus positive Seiten. Ich habe mich dadurch getraut, meiner Berufung zu folgen und habe den Mut aufgebracht, Kompromisse im Angestelltenverhältnis gegen die ersehnte berufliche Freiheit zu tauschen.


RP: Was unterscheidet ihren betriebswirtschaftlichen Ansatz gegenüber anderen Marktteilnehmern?

 

KA: Ich arbeite mit skalierbaren Konzepten. Das heißt, ich bin jederzeit in der Lage, mich dem Markt flexibel anzupassen. Das gilt sowohl für die Preisgestaltung als auch für die Terminierung von Arbeiten. Ich kann deutlich flexibler auf Kundentermine eingehen als die „Großen“ der Branche. Durch eine anpassungsfähige Infrastruktur und Lagerhaltung bin ich zudem in der Lage, die Fixkosten sehr niedrig zu halten. Im Ergebnis kommt das dem Kunden zugute. Ich kann Arbeiten meist rascher ausführen als die Konkurrenz, habe mehr Zeit für Qualität und bin auch in der Preisgestaltung sehr kompetitiv.


RP: Warum haben Sie volle Auftragsbücher, während der deutsche Mittelstand sich im Rahmen der COVID-19-Krise aufzulösen scheint?


KA: Durch meine langjährige Tätigkeit in der Region habe ich mir ein umfangreiches Netzwerk aufgebaut. Das bringt sicher viel. Zum anderen setze ich natürlich auch im Handwerk auf digitale Lösungen und versuche, über meine Webseite sowie einschlägige Social-Media-Kanäle auf „Die Lokale Lösung“ aufmerksam zu machen. Auch die Empfehlungen von zufriedenen Kunden spielen selbstverständlich eine Rolle. Ebenso die Tatsache, dass die Menschen seit Ausbruch der Pandemie mehr Zeit zu Hause verbringen und Projekte umsetzen, die ursprünglich für einen späteren Zeitpunkt geplant waren.


RP: Wie darf man sich die Kundenakquise im Handwerk heutzutage vorstellen? Läuft das noch über Werbeanzeigen und analoge Formate oder arbeiten Sie diesbezüglich digital?


KA: Im Moment ist es ein Mix. 70% der Akquise läuft derzeit sicher noch auf herkömmlichem Wege und über analoge Formate oder persönliche Kontakte. Im Rahmen der Pandemie hat sich aber gezeigt, dass auch im Handwerk viel Potenzial für den Ausbau digitaler Lösungen besteht. Ich gehe davon aus, dass bis in zwei Jahren mindestens die Hälfte der Kundenkontakte digital erfolgen wird. Bei den Erstkontakten rechne ich gar mit bis zu 90% digitaler Akquise – immerhin steuern wir auf eine sozial extrem distanzierte, vollständig digitalisierte Gesellschaft zu. Die Menschen wollen nicht mehr warten, bis der Handwerker nach drei Wochen zum hektischen Vor-Ort-Termin erscheinen kann, um ein Angebot zu erstellen. Das kann man besser machen. Und wir arbeiten daran.


RP: Gibt es Pläne, die Online-Präsenz oder digitale Services weiter auszubauen? Ist die Digitalisierung künftig auch im regionalen Handwerk entscheidend für Erfolg oder Misserfolg?


KA: Ich denke, dass die Fähigkeit, sich der rasant fortschreitenden Digitalisierung sowie dem stark veränderten Kundenanspruch anzupassen, absolut entscheidend für das Handwerk der Zukunft sein wird. Daher planen wir einige Projekte in dieser Richtung. Wir erarbeiten derzeit Konzepte, um den Anfrage- und Angebotsprozess automatisiert über die Webseite abzuwickeln. So erhält der Kunde binnen Minuten ein erstes, individuelles und transparentes Angebot. Wenn die erforderlichen Eingaben seitens des Kunden exakt sind, dürfte der Endpreis nicht mehr als +/- 5% vom initialen Angebot abweichen. Außerdem arbeiten wir an Lösungen für digitale Hausbesuche. Ein normaler Video-Call mit dem Smartphone reicht da leider nicht aus. Für die exakte Bewertung der Situation und zum Beispiel Bodenbeschaffenheit vor Ort, der Materialien und Räumlichkeiten, braucht es mehr als ein verwackeltes Handy-Video mit schlechter Belichtung, mangelhaftem Sound und fehlendem Raumgefühl. Ziel des Projektes ist, dem Kunden das Gefühl zu geben, dass wir vor Ort präsent sind – und die nötigen Informationen für ein detailliertes Angebot so aufnehmen zu können, als wären wir es. Mehr will ich dazu im Moment nicht sagen. Gute Ideen werden ja gerne kopiert. Am Ende versuchen wir, unser Qualitätsversprechen auch im Rahmen der Digitalisierung zu erfüllen. 


RP: Wie sehen Sie die Zukunft? Wo stehen der deutsche Mittelstand und das Handwerk nach der Corona-Krise?

 

KA: Das ist schwer zu sagen. Sicher scheint mir aber, dass es zu signifikanten Verwerfungen kommen wird. Vor allem, nachdem das Insolvenzrecht nun ab Mai 2021 wieder greift. Ich gehe davon aus, dass eine Pleitewelle auf uns zurollt, die vor allem kleine und mittlere Betriebe treffen wird. Uns erwarten vermutlich steigende Arbeitslosenzahlen und eine höhere Inflation. Um potenziellen Turbulenzen am Finanzmarkt zu begegnen, werden wir unseren Kunden demnächst zum Beispiel ermöglichen, Rechnungen mit Kryptowährungen zu begleichen. Zudem profitieren wir, wie eingangs angeführt, von minimalen Fixkosten und einer absolut skalierbaren Governance. Für »Die Lokale Lösung« schaue ich daher positiv in die Zukunft. Ich habe das Unternehmen in einer Krise gegründet und mir zum Ziel gesetzt, auch für künftige disruptive Phasen gewappnet zu sein.


RP: Wie gehen Sie mit den Corona-Verordnungen und den Hygienevorschriften um?

 

KA: Wir halten die jeweils geltenden Verordnungen ein und bieten darüber hinaus kundenspezifische Vereinbarungen an, um den verschiedenen Risikobewertungen gerecht zu werden. Das kann zum Beispiel bedeuten, dass wir Aufträge so terminieren, dass direkter Kundenkontakt vermieden wird, wenn dies gewünscht ist. Bis auf zusätzliche Desinfektionsmaßnahmen betreffen uns die Verordnungen im Arbeitsalltag aber eher wenig. Wir arbeiten aufgrund der Feinstaubbelastung ohnehin zumeist mit Atemschutzmasken und legen auch auf der Baustelle großen Wert auf Ordnung, Sauberkeit und Hygiene.

 

RP: Sie arbeiten bei den Menschen zu Hause. Hat die Krise den Kundenkontakt in den vergangenen zwölf Monaten verändert?

 

KA: Zum Teil. Manche Kunden sind etwas vorsichtiger als andere und wir stellen uns darauf ein. Generell gilt jedoch nach wie vor, dass das Vertrauen zwischen Auftraggeber und Auftragsnehmer eine wichtige Rolle spielt. Daher versuchen wir den persönlichen Kundenkontakt den Umständen entsprechend aufrecht zu erhalten. Man bemerkt aber durchaus, dass viele Menschen verängstigt sind. Das versuchen wir, wenn möglich, etwas aufzufangen.


RP: Haben Sie noch einen Tipp für Menschen, die sich für das Handwerk interessieren oder gar selbst ein Unternehmen gründen wollen?

 

KA: Wir haben hierzulande nach wie vor einen Mangel an Fachkräften und gut ausgebildeten Handwerkern. Auch die Zahl der Handwerksmeister nimmer in allen Branchen ab. In vielen Bereichen fehlt der Nachwuchs, obwohl das Handwerk auch in der Zukunft eine wichtige Säule der Gesellschaft darstellen wird und vielfältige Entwicklungschancen bietet. Qualität hat immer einen Markt, gerade in Krisenzeiten. Ich denke, dass hier seitens der Politik mehr unternommen werden muss. Es macht keinen Sinn zu glauben, dass man nur mit Abitur und Studium eine erfolgreiche Karriere gestalten kann. Aus meiner Sicht wäre es wichtiger, dass die Jugendlichen ihrer Passion folgen und sich in den Themenbereichen ausbilden und engagieren, die sie interessieren. Im Handwerk kann man sich persönlich verwirklichen, wenn man Leidenschaften oder Talente hat. Und mit einem Meisterbrief in der Tasche bieten sich unzählige Möglichkeiten – auch was den Verdienst angeht.

 

RP: Dann bedanke ich mich hiermit herzlich für das Gespräch und wünsche Ihnen und Ihrem Unternehmen weiterhin viel Erfolg.

 

KA: Ich habe zu danken. 


Das Unternehmen von Kalman Andrasfalvy finden Sie unter: www.dielokalelösung.de


Foto: Inés Kieferle (Bildwerk7)

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