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Oft ist das Wiedersehen erst die echte Trennung 

»Ein Abschied verleitet immer dazu, etwas zu sagen, was man sonst nicht ausgesprochen hätte« (Michel de Montaigne). Ein Nachruf auf die alte Heimat.


Tom-Oliver Regenauer | 12.05.2021 | Lesedauer: 5 Minuten

Deutschland war meine Heimat. Ich bin dort geboren, aufgewachsen und zur Schule gegangen. Ich durchlebte eine glückliche, unbeschwerte Kindheit und eine turbulente bis exzessive Jugend. Ich mochte das Land, die Städte und die Menschen mit all ihren schrägen Eigenarten, die Sprache, die Kultur und den ruralen Lokalkolorit. Das Land der Dichter und Denker hatte für Neugierige viel zu bieten und ließ Freiraum, um sich persönlich zu entfalten. Ob Punk, Hip-Hopper oder Skater – man fand eine Nische, in der man sich ungehemmt ausleben konnte. Aber das waren die 90er. Heute ist das anders.


In der Pubertät begann ich, mich ernsthaft künstlerisch zu betätigen und Songtexte zu schreiben. Dadurch las ich noch mehr als zuvor und recherchierte querbeet. Geschichte, Politik, Philosophie oder Psychologie. Was mir interessant erschien, wurde verschlungen. Aus diesem Grund begann ich, mein Heimatland, seine Gesellschaft und die hiesige Politik bewusster und deutlich kritischer wahrzunehmen. Ich verstand langsam, wie die Welt und ihre Systeme tatsächlich funktionierten – und rasch wurde klar: Es ist nicht alles Gold was glänzt. Diese Erkenntnis wurde untermauert, als ich im späteren Leben die Möglichkeit hatte, den Globus zu bereisen und viele Regionen, Länder und Kulturen kennenzulernen.


Vor allem die EU als überstaatliches Konstrukt bereitete mir in der Heimat Sorgen. Früh war abzusehen, dass es bei diesem Staatenbund nicht um das Zusammenrücken der Menschen und offene Grenzen, sondern um eine kooperatistisch getriebene Freihandelszone, eine Währungsunion der Hochfinanz und zunehmende Zentralisierung von Macht in Brüssel ging. Die ursprüngliche, humanistisch verstandene europäische Idee wuchs sich immer mehr zu einem undurchsichtigen Machtapparat aus, auf den der Wähler nur noch bedingt und mittelbar Einfluss nehmen kann. Dies stand meinem Freiheitsdrang und Verständnis vom Demokratie diametral entgegen. Daher traf ich schon vor mehr als zehn Jahren die Entscheidung, meinen Hauptwohnsitz in die Schweiz zu verlegen.


»Schüttle alles ab, was dich in deiner Entwicklung hemmt, und wenn's auch ein Mensch wäre, der dich liebt.« (Christian Friedrich Hebbel)


Trotzdem hielt ich an der alten Heimat fest, betrieb dort eine Niederlassung meines Unternehmens und nutzte meinen früheren Wohnsitz fortan als Ferienhaus am Rande des Schwarzwalds. Ich wollte die Nähe zu Familie und Freunden nicht vollständig aufgeben. Und obwohl ich zwischenzeitlich in Mexiko, Israel, Rumänien, den USA, Südafrika und vielen anderen Ländern gelebt habe, bin ich immer wieder nach Deutschland zurückgekehrt. Ich hegte den fernen Wunsch, im Alter das Elternhaus und einen kleinen Immobilien-Bestand zu übernehmen und den Lebensabend an den memorablen Orten meiner Kindheit zu verbringen. Der Kreis des Lebens sollte sich da schließen können, wo er für mich begonnen hatte. Dieser Traum wurde in den vergangenen zwölf Monaten langsam und qualvoll erstickt – von »Corona«.


Deutschland ist nicht wiederzuerkennen. Seit März 2020 fuhr ich mehrmals im Monat von Zürich nach Deutschland und konnte die Entwicklungen in beiden Ländern beobachten und vergleichen. Alles, was mir an meiner alten Heimat in der Vergangenheit wichtig war, wurde im Zuge der Pandemie zerstört, pervertiert, irrelevant, verpönt oder verboten. Die Mechanismen dieser Krise benötigten nur knapp ein Jahr, um meine Heimatgefühle abzutöten. Mein Geburtsort wirkt heute wie eine verdorrte Pflanze, die man ein Jahr lang absichtlich nicht gegossen hat. Hier und da hängt noch eine welke Blüte am Zweig, aber auch sie ist unumgänglich dem Untergang geweiht.


Das Land ist mir fremd geworden. Die Ignoranz und der stumpfsinnige Konformismus vieler Menschen ekeln mich an. Was heute unter Solidarität verstanden und als solche eingefordert wird, ist das exakte Gegenteil. Offene Gesellschaft, Debattenkultur, autonome politische Willensbildung, stabile Gewaltenteilung, ausgewogene Berichterstattung, fundierte Bildung, bedingungslose Meinungsfreiheit, Neutralität der Gerichtsbarkeit? Fehlanzeige! Stattdessen: Cancel Culture. Knapp 70 Jahre nach Schaffung des Grundgesetzes wird dieses Bollwerk gegen Tyrannei erneut mit Füssen getreten. Schlimmer noch, der Einzug haltende Hygiene-Totalitarismus ist als »das Gute« kaum angreifbar und wurde durch entsprechende Gesetze »demokratisch« legitimiert. Genau wie der Lobbyismus. So wird beides mit rechtsstaatlichen Mitteln kaum wieder abzuschaffen sein.


»Über das Kommen mancher Leute tröstet uns nichts, als die Hoffnung auf ihr Gehen.« (Marie von Ebner-Eschenbach)


Das ist schlussendlich für alle Bundesregierungen, die ich seit meiner Politisierung erlebt habe, zutreffend. Allerdings hat es bisher auch keine Regierung seit den Nationalsozialisten mehr vollbracht, das Land binnen zwölf Monaten derart zu fanatisieren und auf den Kopf zu stellen. Deutschland ist gespalten, verblendet, autoritär und ideologisiert. Der Debattenraum verengt sich von Woche zu Woche. Viele Menschen trauen sich nicht mehr, ihre Meinung offen auszusprechen. Selbst respektierte Schauspieler wie Jan Josef Liefers werden im ÖRR als »naiv« bezeichnet und mit Suggestivfragen in die Ecke gedrängt, wenn sie mit Aktionen wie #allesdichtmachen das Vorgehen der Regierung kritisieren. Liefers kommt aus der DDR und war dort kein Konformist. Wenn er sich im Deutschland des Jahres 2021 also stark an seine alte Heimat erinnert fühlt, sollte das zu denken geben.


Das Corona-Management von Politik, Wissenschaft und Medien hat eine zerstörte Gesellschaft hinterlassen, in der ich mich nicht mehr wohl fühle. Schulen werden immer mehr zu einem Gefängnis für Kinder, deren Gedanken frei sein sollten. Kunst und Kultur werden aufgrund von Insolvenzen unabhängiger Anbieter vielleicht sehr bald nur noch staatlich subventioniert stattfinden können – und damit kaum so frei sein, wie sie es sollten. Die politischen Zukunftsaussichten sind düster. Zunehmend totalitär agierende Systeme werden neue Machtbefugnisse ausreizen und erweitern, sie aber kaum freiwillig wieder abgeben. Wenn die Pandemie keine Angst mehr macht, wird man den Klimaschutz instrumentalisieren, um die Menschen zu unterdrücken. Ich kann weder mit dem hysterischen »New Normal« noch mit Cancel Culture oder einem grün-zentralistisch regierten Deutschland etwas anfangen. Und zu einer Revolution scheinen mir die trägen, wohlstandsverwahrlosten Deutschen nicht fähig. Eigenverantwortung war einmal.


Ich möchte nicht in einer Zweiklassengesellschaft den Lebensabend verbringen, deren Grundgesetz ausgehebelt und im Kontext einer übermächtigen EU nur noch Makulatur ist und in der die Bevölkerung den Niedergang der Demokratie mit frenetischem Applaus honoriert.


So habe ich mich in den letzten Wochen aller Verträge und Verantwortlichkeiten in Deutschland entledigt und räume mein ehemaliges Zuhause bald endgültig. Den Juli werde ich bereits in wärmeren Gefilden verbringen, im Tessin. Eine Region, in der andere Urlaub machen. In einem Land, in dem man noch freiheitlich denken, leben und lieben kann. In einer direkten Demokratie. Der Einzigen.


Ich gehe leider nicht, wenn es am schönsten ist, sondern solange man es noch kann. 

 

Foto: Leon Seibert

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