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Funkstille, bis der letzte Vorhang fällt

Über die befremdliche Zurückhaltung von Kunst und Kultur im Lichte sozialer Umbrüche


Tom-Oliver Regenauer | 12.02.2021 | Lesezeit: ~10 Minuten


Die Kunst ist frei. Sie sollte sich keinem Zwang unterworfen, keiner Zensur ausgesetzt, keiner Ideologie verpflichtet und keiner Instrumentalisierung genötigt sehen.


In einer aufgeklärten Gesellschaft spielt Kunst eine systemrelevante Rolle. Sie muss den Wahnsinn, den die Gesellschaft veranstaltet, absorbieren, reflektieren und transzendieren, um ihn derselben in ihrem Werk vor Auge zu führen. Nur so kann die Gesellschaft sich ihrer Abarten und Auswüchse gewahr werden.


Kunst und Philosophie betrachten den Menschen, die Politik und den Lauf der Welt aus einer anderen Perspektive. Sie ordnen Ereignisse auf einer längeren Zeitachse, in einem moralischen Wertesystem oder den erweiterten, kulturgeschichtlichen Kontext ein. Literatur, Malerei, Schauspiel und Musik sind die Seele, das Herz und das Gewissen einer offenen Gesellschaft.


Nicht umsonst sind Kunst und Kultur immer die ersten Opfer eines interventionistischen oder totalitären Systems.


Die hiesige Kulturlandschaft wurde von der Corona-Politik des vergangenen Jahres hart getroffen. Seit März 2020 ist an ein geregeltes Einkommen in der Branche nicht mehr zu denken. Tausende Veranstaltungsorte, Kreative und Mitarbeiter der Event-Szene sind existenziell bedroht. Die staatliche Vernachlässigung des Kulturbetriebs in der Krise ist eine Schande. Immerhin geht es um einen der größten Wirtschaftszweige des Landes. Und es ist nicht klar, wie viel Kultur den Deutschen nach den Lockdown-Loops noch bleibt.


Kritische Stimmen aus Kunst und Kultur müssten daher wahrlich lauter sein, die Künstler deutlich skeptischer gegenüber unschlüssig gerechtfertigten, übergriffigen, staatlichen Maßnahmen und einer dogmatischen, agitierenden Politik – die ihnen die Lebensgrundlage unter Umständen für immer zunichtemacht. Auch die regierungsnahe Darstellung der Situation in den Massenmedien wird von Kreativen und Intellektuellen kaum öffentlich hinterfragt oder angeprangert.


Dabei ist mehr als offensichtlich, dass wir uns zunehmend aggressiver Propaganda ausgesetzt sehen. Man muss nur die Bücher von Edward Bernays lesen, einem Neffen von Sigmund Freud, um zu verstehen, was derzeit in punkto Medien und Kommunikation passiert. Dennoch – investigativ recherchierte Artikel, aufklärerische Bücher, Polemiken, kritische Bühnenstücke oder intelligente Kommentare zur Corona-Krise sind rar. Genauso wie Musik, die sich tiefergehend mit der Absurdität der Gegenwart beschäftigt.

 

In Anbetracht der disruptiven Effekte von COVID-19 stehen ausreichend kontroverse Themen auf der Tagesordnung, die es wert sind, künstlerisch bearbeitet zu werden. Man sollte annehmen, dass Kunst und Kultur diese brachial auf die Menschheit einwirkenden, globalen Paradigmenwechsel regelrecht aufsaugen, um uns mit kontroversen Werken zu bombardieren. Protest-Songs, provozierende Kunst und Aktivismus wären zu erwarten.


Fehlanzeige. Seit nun fast einem Jahr kaum ein Wort, ein Song oder ein Bild, in dem sich Künstler hierzulande kritisch mit der Corona-Krise, ihren ökonomischen Auswirkungen, den sozialen Katastrophen oder dem politisch totalitär anmutenden Kurs der Bundesregierung auseinandersetzen. Kein Aufschrei. Im Gegenteil. Betretenes Schweigen.


Unterwirft sich die Kunst willfährig und opportunistisch der Meinungshoheit von Regierung, Leitmedien und Tech-Oligopolen? Es scheint so – und ist ein Skandal.


Eine Vielzahl bekannter Künstler hierzulande ließ es sich in der Vergangenheit bei keiner Gelegenheit nehmen, die Regierung für ihr Handeln scharf zu kritisieren. Wenn es um Klimapolitik, Flüchtlingspolitik, »Black Lives Matter« oder Korruption ging, waren alle zur Stelle. Zur sozialfeindlichen, antidemokratischen Corona-Politik – kein Wort.


Keine Zurückweisung der Idee eines elitären »Great Reset«, der weltweit von Meinungsführern propagiert wird. Keine Bedenken gegenüber umfangreicher, digitaler Überwachung, die mit elektronischen Impf-Pässen und Kontaktverfolgung in den Totalitarismus führt. Auf EU-Ebene spricht man bereits von länderübergreifenden, roten Zonen und absoluter Einschränkung individueller Mobilität. Ein goldener Käfig.


Ich bin seit meiner frühen Jugend als Musiker, Texter, Künstler, DJ und Produzent aktiv. Ich lese viel, war früh politisiert und inspiriert von Songwritern wie John Lennon, Bob Dylan oder Townes van Zandt – und es erschließt sich mir in keiner Weise, wie man mit einem aufgeklärten Weltbild in diesen Zeiten nicht aufbegehren kann.


Die pluralistische, freiheitliche Gesellschaft ist in Gefahr – und manch Kunstschaffender biedert sich an und wiederholt ungeniert die infantilen, sich repetitiv einfräsenden Plattitüden und Wergwerf-Slogans der Lockdown-Rechtfertigungsmaschine. Die VIPs der hiesigen Szene legen in Massenformaten gerne das emotional überlegene Auftreten des philanthropen, human engagierten Kreativen an den Tag. Während die eigene Branche de facto daniederliegt, die Meinungsfreiheit eingeschränkt und kleine Künstler mit ein paar Hundert Euro im Monat vom Staat abgespeist werden.


Wer sein Aufmerksamkeitsdefizit im Fernsehen befriedigen darf, kann eine längere Durststrecke ohne Auftritte finanziell verkraften. Eine Newcomer-Band, ein kleines, unabhängiges Theater, der Underground-Club im Industriegebiet, der Berufsmusiker oder Wochenend-DJ wird diesen Zeitraum nicht unbeschadet überstehen.


Wie begründet sich dieses ignorante, konformistische Gebärden bei einer Berufsgruppe, die ihre Daseinsberechtigung auf der freiheitlichen, aufgeklärten, philosophisch offenen Gesellschaftsform begründet, in der wir im Idealfall leben sollten? Wo ist Marius Müller-Westernhagen mit seiner Freiheit? Wo sind Udo Lindenberg, Die Toten Hosen oder all die anderen großen Namen, die sonst lauthals für Menschenrechte einstehen, während die Bundesregierung das Land wirtschaftlich, sozial und kulturell ruiniert? Fürchten sie, nicht mehr eingeladen zu werden, nicht mehr in Stadien spielen zu dürfen?


Diejenigen, die sich jetzt nicht für Meinungsfreiheit und Aufklärung positionieren, tragen Mitschuld am Ergebnis dieser Politik. Weil sie nicht helfen, sie zu verhindern.


Dafür wird ihnen vielleicht später gestattet, in einem letztlich staatlich finanzierten Kulturbetrieb zu reüssieren und die Meinungshoheit vertreten dürfen. Darauf läuft es nämlich hinaus, nach dem voraussehbaren, finanziellen und geistigen Bankrott des freien Kulturbetriebes. Richard David Precht, Deutschlands prominentester »Philosoph«, redet Verboten und Narrativen der Regierung bereits den Mund – und sollte im Zuge dessen seine Berufsbezeichnung ablegen. Er predigt heute Gedanken, die er vor 20 Jahren noch verteufelt hat. Freut er sich auf eine exponierte Rolle als oberste, moralisch-philosophische Instanz in der Gleichschaltung?


Kultur 2.0 – distanziert, digital und linientreu?


Die magere Opposition mag auf fehlende Angriffsfläche zurückzuführen sein. Corona ist keine Ideologie, wie wir sie kennen. Es ist eine verstörende, anhaltende Ausnahmesituation. Das Virus, beziehungsweise die ihm panisch begegnende Politik, ist weder links noch rechts. Sie ist vordergründig inklusiv, human und rettet Menschenleben. Auch wenn sie in der Summe mehr Leid anrichtet als das Virus selbst.


Es fällt einer sozialpolitisch engagierten Band leicht, einen Song gegen Nazis zu schreiben. Wie aber schreibt man einen Song gegen die Corona-Politik? Wäre das nicht im Kern schon asozial, unsolidarisch, antidemokratisch? Nein.


Diese Politik ist nicht gerechtfertigt. Für den Großteil der Bevölkerung, das Publikum, ist sie vernichtend. Man kann einen Virus nicht mit derartigen Maßnahmen kontrollieren oder eindämmen. Zumal wir immer noch von einer Letalität von 0,23% sprechen. Die nackten Zahlen beweisen, dass wir uns keiner Killer-Pandemie gegenübersehen. Die WHO selbst hat offiziell den Vergleich mit der Influenza gezogen. Selbst die glorifizierte Impf-Kampagne scheint gefährlicher zu sein als das Virus selbst.


Angst, Opportunismus, Gier und Feigheit scheinen die Kunst zum Schweigen zu bringen.


Ich bezweifle, dass die Künstler hierzulande zu blind sind, um offensichtliche Wahrheiten zu erkennen. Ich glaube auch nicht, dass sie in Angst vor dem Erstickungstod im Lockdown ausharren, bis die Pandemie vorüber ist. Und selbst wenn man sich seiner Sache als Künstler nicht sicher ist, wenn man nicht genau weiß, was vor sich geht, so hat man zumindest die Möglichkeit, genau diese Fragen in seinem Werk aufzuarbeiten und mit dem Publikum zu teilen.

 

Fragen aufwerfen, Diskussionen anregen, dabei helfen, Lösungsansätze und Visionen einer besseren Zukunft zu entwickeln, das konnte Kunst bisher immer – auch wenn sie keine Antworten hatte, sondern nur Fragen. Unsicherheit, ausgelöst durch eine ideologische Orientierungslosigkeit, ist keine Begründung für Kunst, sich nicht offen zu artikulieren.


Angst vor Kritik und feige Zurückhaltung sind ebenfalls fehl am Platz, wenn es um elementare Grundrechte wie Meinungsfreiheit und die Würde des Menschen geht.


Gier, Egozentrik, Eitelkeit, Aufmerksamkeitsbedürfnisse, Konformismus und Machthunger sind schlichtweg zu verurteilen. Künstler sollten nicht sich selbst in der Vordergrund zu stellen suchen, sondern ihr Werk.


Welcher Grund auch immer die beschämende Zurückhaltung der Künstler auslöst: Im Ergebnis ist es Linientreue wider besserem Wissen und Gewissen – zum Nachteil der eigenen Branche, der Gesamtgesellschaft und einer humanen Zukunft.


Der Künstler darf schockieren, er muss es oft sogar, um Wirkung zu erzielen. Und es gibt absolut keinen Grund für Kunst und Kultur, nicht auch in diesen verwirrenden Zeiten frei zu denken. Frei von Vorurteilen, Abhängigkeiten, Ängsten und Begehrlichkeiten.

Wenn nicht auch die Kunst bald ihre kritische Stimme im sozialen und politischen Diskurs aktiv erhebt, fällt vielleicht bald der letzte Vorhang für unser kleines, demokratisches Zwischenspiel.



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