Tom-Oliver Regenauer | 05.10.2022
Irgendwann in der Zukunft werden die Menschen auf die 2020er Jahre zurückblicken und sich fragen, wie das alles angefangen hat. Sie werden wissen wollen, zu welchem Zeitpunkt der Postmoderne sich die Zivilisation von den Werten der Aufklärung, vom Humanismus, den allgemeinen Menschenrechten und der »souveränen Autonomie des Individuums« (Nietzsche, Genealogie der Moral, 1887) verabschiedet hat. Unsere Nachfahren werden verstehen wollen, wo der Wendepunkt war, bis zu welchem Moment man die Entwicklungen hätte aufhalten können. So wie wir zwischenzeitlich gelernt haben zu verstehen, warum der Faschismus unter Hitler reüssierte.
Deswegen bedarf es einer Phase der Aufarbeitung, Dokumentation und Reflexion. Die Gesellschaft muss sich selbstkritisch mit den im negativen Sinne einzigartigen Geschehnissen der vergangenen zweieinhalb Jahre auseinandersetzen, um daraus Lehren zu ziehen. Vor allem jetzt, da die meisten Länder den Gesundheitsnotstand für beendet erklärten – zumindest vorübergehend. Doch diese Aufarbeitung meiden insbesondere die Verantwortlichen in Politik, Wirtschaft und Medien wie der Teufel das Weihwasser. Sie hoffen, ihre teils unverzeihlichen Verfehlungen fallen dem Tunnelblick gen Russland oder der hektisch pulsierenden Aufmerksamkeitsökonomie zum Opfer und geraten in Vergessenheit.
»Geschichte ist eine Philosophie, die uns durch Beispiele lehrt« – schrieb dereinst Henry St. John (1678 – 1751), ein politischer Autor der Aufklärung.
Genau aus diesem Grund ist das am 07. November 2022 im Rubikon-Verlag erscheinende Buch »Möge die gesamte Republik mit dem Finger auf sie zeigen – Das Corona-Unrecht und seine Täter« ein so wichtiges zeitgeschichtliches Dokument. Denn es versieht die eingangs beschriebene Zäsur, den Beginn des »New Normal« mit einem Zeitstempel. Es dokumentiert für die Nachwelt, wie, wann und wo die Sprache (erneut) zum Vehikel für eine oktroyierte Verschiebung moralischer Grenzwerte verkam – zum Trittbrett für einen fadenscheinig plausibilisierten und segregativen Biototalitarismus.
Anhand 100 vielsagender Zitate von vorgeblichen Volksvertretern, Journalisten, Medizinern und anderen in der Öffentlichkeit stehenden Persönlichkeiten veranschaulichen Markus Klöckner, Jens Wernicke und Ulrike Guérot, die das Vorwort beisteuert, dass Tyrannei sich eben nicht erst dadurch manifestiert, dass Exekutionskommandos durch die Straßen ziehen oder Nachbarländer im Morgengrauen überfallen werden. Sie zeigen, wie Kommunikation im Zuge der mutmaßlichen Jahrhundert-Pandemie zur Waffe wurde, Information zum Hebel für »Social Engineering«, das politische Spektrum zum Spaltpilz und die konsolidierte Medienlandschaft zum Propaganda-Werkzeug.
Totalitäre Systeme implementieren sich historisch betrachtet immer über die schleichende Egalisierung, Umdeutung und Neuinterpretation des Wortsinns. Sie vergewaltigen die Sprache förmlich – Krieg ist Frieden, Ignoranz ist Stärke, Freiheit ist Sklaverei. George Orwell lässt grüßen. So legte auch das zentralistisch dirigierte Covid-Infektionsregime, das sich über föderale Prozesse ebenso selbstherrlich hinwegzusetzen gewillt war wie über ethische Gepflogenheiten, von Beginn an einen aggressiv konnotierten Duktus an den Tag. Die offizielle Krisen-Kommunikation trieb demonstrativ Keile in die sozioökonomischen Strukturen eines von Panik-Posaunen, Lobbyisten und selbsternannten Experten verunsicherten Landes. Ihren Höhepunkt erreichte die Diskurskontamination jedoch mit dem Anlaufen der Impf-Kampagne.
Standen zunächst Masken, Lockdowns und Ausgangssperren im Zentrum der Debatte, waren es später mRNA-Injektionen, Zugangsreglements, QR-Codes, Impfpflichten und -ausweise. Die verbalen Entgleisungen einer von Pharma-, Finanz- und Digital-Kartellen korrumpierten Deutungselite kulminierten in der offenen Diskriminierung von Menschen, die nicht willens waren, ihr unverhandelbares Recht auf körperliche Selbstbestimmung einer kollektivistischen Hysterie unterzuordnen.
Die Ungeimpften – sie waren die neue Randgruppe. Sie waren schuld. Die Aussätzigen. Illoyale Häretiker. Der neue artifizielle Feind, den jeder erfolgreiche Tyrann benötigt, um den Rest der Bevölkerung – die Folgsamen, Ängstlichen, Gutgläubigen und Obrigkeitshörigen –, um die Flagge zu scharen.
Die de facto gleichgeschaltete Berichterstattung zur im März 2020 proklamierten Gesundheitskrise ließ von Beginn an keinen Zweifel daran, dass eine drastische Veränderung im Gange war. Dass ein Paradigmenwechsel ins Haus steht. Nuancierte Debatten, ausgewogene, faktenbasierte Argumentation und Grauzone war gestern – ab »Tag Null« existierte nur noch schwarz und weiß. Richtig und falsch. Gut und böse.
Dass die Corona-Krise in diesem Lichte den Auftakt einer äußerst düsteren Ära zeitigt, machen die von Klöckner et al. zusammengetragenen semantischen Ungeheuerlichkeiten unmissverständlich klar. Die Autoren liefern nach, was die offizielle Evaluierung der Corona-Maßnahmen durch eine von Berlin berufene Expertenkommission nicht geleistet hat – eine schmerzhafte Detailanalyse der menschenverachtenden Umgangsformen, die tiefe, schwer heilbare Narben im gesellschaftlichen Bindegewebe hinterließen. Jeder Grabenkampf verursachte eine neue Fissur. Die Risse zogen sich nicht mehr nur durch politische Milieus und ideologische Echokammern, wie das in einer bunten, streitbaren Parteienlandschaft gang und gäbe wäre, sondern mitten durch Firmenbelegschaften, Familien und Freundeskreise.
Nicht Lockdowns, Masken, mRNA-Drückerkolonnen oder QR-Codes waren es, die Menschen auseinandertrieben, sondern Framing-Floskeln, Semantik und Darreichung der entsprechenden Themenkomplexe durch meinungsbildende Institutionen, einflussreiche Einzelpersonen und bezahlte »Impfluencer«. Die von Cancel Culture und »Woko Haram« befeuerte Deutungselite schrieb, schrie und schimpfte sich in einen regelrechten Rausch. Man kostete die neu gewonnene Macht, andere quasi folgenfrei beleidigen zu können, fürwahr genussvoll aus, wie manch eines der nunmehr konservierten Zitate vermuten lässt:
»Was es jetzt braucht, ist nicht mehr Offenheit, sondern ein scharfer Keil. Einer, der die Gesellschaft spaltet. (…) Richtig und tief eingeschlagen, trennt er den gefährlichen vom gefährdeten Teil der Gesellschaft.« (Christian Vooren, ZEIT ONLINE)
Doch auch gefährliche Schreibtischtäter, Mitläufer, Duckmäuser und Opportunisten werden sich irgendwann für Hass und Hetze verantworten müssen. Das gilt gleichsam für Olaf Scholz, Karl Lauterbach, Jens Spahn, Wolfgang Niedecken oder Nikolaus Blome, dessen faschistoides Zitat das Cover ziert. Denn sie alle demonstrieren frappierende Geschichtsvergessenheit. Und sie scheinen vergessen zu haben, dass alle Imperien fallen. Das mag zeitweise etwas dauern. Doch Papier ist geduldig.
»Erinnern heißt auswählen«, meinte Günter Grass. So stellt das Kompendium des Grauens, das der Rubikon-Verlag am 07. November 2022 als Paperback und E-Book publiziert, eine Zeitkapsel gegen das Vergessen dar. Eine Zeitkapsel, die den Anfängen wehrt, indem sie diese unveränderlich festhält. Mit ihrem neuen Buch tun die Autoren genau das, was einen echten Demokraten ausmacht: Sie leben Partizipation, fordern konstruktiven Diskurs und gemeinsame Aufarbeitung. Darüber hinaus erfüllen sie in einer dysfunktionalen Medienlandschaft genau die Aufgabe, die der Vierten Gewalt zu ihrem Namen gereichte: Journalistische Dokumentation von dem »was ist«.
Ohne Chronisten der Gegenwart ist jegliche historische Kontextualisierung aktueller Ereignisse undenkbar. Erst durch den Blick in die Vergangenheit ergibt eine unverfälscht protokollierte Jetztzeit Sinn. Aus diesem Grund müssten sich vor allem jene das Buch von Marcus Klöckner und Co zu Gemüte führen, die den Kurs der Bundesregierung während der temporär-dauerhaften Gesundheitskrise kritiklos unterstützten. Denn sollten diese Menschen in Anbetracht der hier versammelten sprachlichen Übergriffigkeiten und Dammbrüche noch immer die Position vertreten, dass derartige Kommunikation eine freiheitlich organisierte Demokratie charakterisiert, dann weiß man wenigstens, mit wem man es zu tun hat – mit Faschisten.
Man kommt spätestens nach der Lektüre dieses Buches nicht mehr umhin, das Kind beim Namen zu nennen. Denn Faschismus ist nicht links oder rechts – sondern inhuman. Menschenverachtend. Die roten Linien, nach deren Übertretung man noch von leichtsinniger Entgleisung oder Unwissenheit hätte sprechen können, liegen meilenweit hinter uns.
Vorsatz, konzertiertes Vorgehen und das mutwillige Malträtieren tradierter zivilisatorischer Errungenschaften stehen zwischenzeitlich außer Frage. Das belegt einmal mehr »Möge die gesamte Republik mit dem Finger auf sie zeigen« – und da zu befürchten ist, dass die zunehmend aggressiver zensierende Plattform-Ökonomie dem kollektiven Vergessen künftig verstärkt auf die Sprünge helfen wird – Beweismittel also aus dem digitalen Raum verschwinden werden –, glücklicherweise in gedruckter Form.
Denn wie heißt es so treffend: Die Waffe des Journalisten ist das Archiv.
Bild: Rubikon Verlag