Henrik Jan Mühlenbein, Tom-Oliver Regenauer | 03.04.2023
Dass viele Künstler in dieser Ära multipler Krisen und staatlicher Übergriffigkeiten eine herbe Enttäuschung darstellen, ist nicht neu. Spätestens nach der Pharma-Propaganda-Phase der zurückliegenden drei Jahre ist klar, wer auf wessen »Seite« steht. Und bei den meisten Mainstream-Künstlern ist das bedauerlicherweise nicht die Seite ihres Publikums. Ob Udo Lindenberg, Marius Müller-Westernhagen, Silbermond, Die Ärzte, Jan Delay oder der cholerisch auf Passanten einprügelnde Herbert Grönemeyer – kaum einer der Gutverdiener des deutschen Showbusiness hat sich kritisch gegenüber der Regierung, den mRNA-Drückerkolonnen oder der Exekutive positioniert. Auch wenn sie alle in ihren Liedern von Freiheit singen.
Gekrönt wird all der intellektuelle Inzest aber derzeit von Andreas Joachim Wolfgang Konrad Frege, besser bekannt als »Campino«. Frontmann der Düsseldorfer Band »Die Toten Hosen«. Künstler, Punk, Anarchist – zumindest dem öffentlichen Image und der bevorzugten Selbstdarstellung des vermeintlichen Underdogs nach zu urteilen. Dabei ist schon bei der Musik des Pseudo-Revoluzzers nicht das drin, was drauf steht – Punk.
So werden Campino und seine wahrlich toten Hosen als Protagonisten stumpfsinnigen Suff-Pogos mit »Copy-and-Paste-Punk-Appeal« in die Annalen der Musikgeschichte eingehen. Als billiger Abklatsch dessen, was sie vorgeben zu verkörpern. Das im Kern revolutionär-anarchische Musikgenre Punk wurde durch die Düsseldorfer Hafensängertruppe über gut vierzig Jahre als Konsumartikel missbraucht und damit ad absurdum geführt. Statt unabhängiger Anti-Establishment-Attitüde, Konsumverweigerung und Garagen- oder Keller-Sound lieferte die Band Hochglanz-Produktionen bei Major-Labels. Tränendrüsen-Balladen, Mitsing-Hymnen und Anbiederung an wirkliches jedes Zeitgeist-Narrativ. Das waren die Schlüssel zum Erfolg im Land des Musikantenstadls. Ganz nach dem Motto: »Wir sind die Jungs von der Opel-Gang, wir haben alle abgehängt«; und »An Tagen wie diesen – eisgekühlter Bommerlunder«.
Was bei all dem fadenscheinigen Image-Design und der Vielzahl kommerzieller Spagate etwas ins Hintertreffen gerät, ist die Frage, wo Campinos Wildheit, der zur Schau gestellte Punk denn eigentlich herkommt. Das schien auch die alkoholisierten Wochenend-Irokesen seiner Band mit ihren Katalog-Tattoos auf den Oberarmen nie wirklich zu interessieren. Dabei gäbe die Vita des feinen Herrn Andreas Joachim Wolfgang Konrad Frege durchaus Grund, an seiner postulierten Motivlage zu zweifeln. Denn Campino ist ein Spross der bekannten Leipziger Bankier-Dynastie von Christian Gottlob Frege.
Dieser eröffnete 1782 eine Privatbank am Ort, war reicher Großgrundbesitzer und betrieb Bergbau-Unternehmen. Geldadel verpflichtet. Campino ist Sohn eines Richters. Sein Großvater war gar Präsident des Bundesverwaltungsgerichts. Dieser Umstand könnte dem Vorzeige-Rowdy natürlich dabei geholfen haben, zu entscheiden, auf welcher Seite »die Guten« stehen.
Besonders peinlich war ein Auftritt des Tote Hosen-Frontmanns im Jahr 2018, als er gegenüber den beiden deutschen Rappern »Farid Bang« und »Kollegah«, die sich deutlich anarchischer gebärden als der Berufsstaatsfeind, den Oberlehrer markierte. Den Zeigefinger erhob Campino aufgrund einer bewusst provokant gewählten Metapher auf einem Bonus-Track des bodybuildenden Duos die da lautete: »(…) Mein Körper definierter als Auschwitz-Insassen«. Nicht gerade geschmackvoll. In hohem Masse irritierend. Stimmt. Aber nicht justiziabel. Und eben eine Metapher in einem Genre, bei dem es in Bezug auf die Texte primär um das Finden besonders abwegiger, doppeldeutiger oder provokanter Metaphern geht. Provokation ist Kern des Erfolgsrezepts der beiden Rapper. Das kann man mögen - oder nicht. Wer jedoch für Kunstfreiheit eintritt, muss auch Geschmacklosigkeiten aushalten. So wie eine Demokratie die Grünen.
Neben Herrn Frege legten auch Alice Weidel und andere Personen des massenmedialen Raumes Schnappatmung ob der »Punchline« an den Tag. Man empörte sich gemeinschaftlich über den »asozialen« Marokkaner Farid Bang. Campino ließ im Nachgang und bei der zwischenzeitlich zum Glück eingestellten Echo-Preisverleihung verlauten, er sei weder Prüfstelle noch Oberzensor, wolle aber »das Feld nicht den anderen überlassen«. Jenen, die sich »als Opfer darstellen, obwohl ihnen keine Opferrolle zusteht«. Entscheidet demnach Herr Frege darüber, wer in dieser Gesellschaft ein Opfer ist und wer nicht? »Jeder von uns muss für sich eine Linie ziehen«, forderte er. Eine Linie? Durch die Freiheit der Kunst? Trennung in konform und nicht konform? Und ab welchem Zeitpunkt sprechen Protagonisten der Einheitsmeinung dann wieder von entarteter Kunst?
In einem Interview mit der »taz« sagte Campino im Jahr 2008, dass er immer glücklich gewesen sei, wenn er erleben durfte, wie Joschka Fischer Deutschland in der Welt repräsentiert habe. Den völkerrechtswidrigen NATO-Angriffskrieg auf Serbien hatte er sich da vielleicht schon aus dem Gedächtnis gekokst oder gesoffen. Darüber hinaus räsonierte er über seine Herkunft, die Hausbesetzer-Szene, und darüber, dass Musiker generell an politischer Relevanz eingebüßt hätten. Oskar Lafontaine sei ein »Brechmittel«, gab er zu Protokoll. Auf der anderen Seite fände er es jedoch »immens«, was »diese kleine Person« Greta Thunberg »durch ihre Energie und ihren Einsatz bewegen konnte«.
Für ihn sei der Zeitpunkt überfällig, das Thema Klimawandel in den Mittelpunkt der gesellschaftlichen Debatte zu rücken. »Wer das jetzt noch ignoriert, dem kann man nicht mehr helfen«. Auch sein Sohn sei Anhänger der klimabewegten »Fridays for Future«-Jugend und bei diversen Demos in Berlin dabei gewesen. »Wenn er damit ein Problem bekommen würde, würde ich mich für ihn einsetzen«, sagte der Pseudo-Punk hinsichtlich potenzieller Probleme wegen des Fehltagen in der Schule. »Es kann jeder etwas dazu beitragen. Jeder kann sich fragen, wie viel Klamotten und Flüge er braucht«, so Campino weiter.
Wasser predigen und Wein saufen – das war stets Campinos Devise. Das Motto eines Menschen, der sein Leben lang in feinstem Punker-Zwirn um die Welt jettete. Und wenn es jemand wagte, seine äußerst wohlhabende und kaum zum Marketing-Design passende Familie zu kritisieren, wurde er unangenehm. In der TV-Sendung »Beckmann« verteidigte er zum Beispiel eifrig seinen Bruder: der rette mit seiner segensreichen Arbeit als Insolvenz-Berater doch viele Arbeitsplätze. Dabei verdiente Michael Frege damit fast so viel Geld wie Campino selbst. Für die Abwicklung der Lehman-Brothers-Pleite soll die Wirtschaftskanzlei Weiss & Hasche, in der er als Partner reüssiert, mehrere Hundert Millionen Euro kassiert haben. Ebenfalls unter den Kunden von Weiss & Hasche: die kriminelle Maple Bank GmbH, die manchem noch von den Cum-Ex-Betrügereien oder der fragwürdigen Insolvenz-Abwicklung des Versandhändlers Neckermann bekannt sein dürfte.
Mit dem kapitalistischen System hatte Campino nie Probleme. So wurde er auch schamlos zu einem der wichtigsten Botschafter der deutschen mRNA-Injektionskampagne und forderte gewissenlos jeden auf, sich das experimentelle Produkt verabreichen zu lassen. Aufgrund des Ukraine-Kriegs hinterfragte er jüngst auch seine einstige Wehrdienst-Verweigerung. Heute würde er wahrscheinlich in den Krieg ziehen, deutete er im Stern an. »Gerade lernen wir doch eindrücklich, warum eine Identität als Europäer so wichtig ist und warum wir eine Wertegemeinschaft sein müssen. Das hat dann leider auch etwas mit Aufrüstung zu tun«.
In der Rolle des vom System goutierten Punk-Proleten und Subkultur-Besserwissers scheint sich Campino zu gefallen. Warum sonst befahl er Schlager-Sängerin Helene Fischer, endlich »das Richtige zu tun«. Sie solle sich gefälligst klar positionieren und öffentlich kundtun: »Ich bin gegen die AfD und gegen die rechtsextreme Stimmung«, so der vorlaute Herr Frege. Von diesem Schritt würde Fischers Management aber wohl abraten, mutmaßte Angela Merkels Lieblingsrocker. »Sie würde vermutlich unglaublichen Hass auf sich ziehen. Das Management würde sagen: So einen Ärger brauchen wir nicht. Wir haben eine gut geölte Maschine, die perfekt läuft. Also bitte in Bezug auf Politik den Mund halten«, vermutete er weiter. Diese Posse passt zu Campinos Statement, dass er nur zu gerne das Geld von Mitbürgern verschmähe, die die deutsche Einwanderungspolitik nicht unterstützen.
Anhand unzähliger weiterer Exempel ließe sich beweisen: Campino ist der regierungskonformste Musiker der letzten zwanzig Jahre. Er hatte und hat mit echtem Punk rein gar nichts zu tun. Er kann höchstens als »Agitprop-Ikone« betrachtet werden. Mitsamt den eingangs erwähnten System-Poppern und Pseudo-Klassenkämpfern. Keiner von ihnen hat in den vergangenen drei Jahren die elementare Aufgabe der Kunst in einer Demokratie erfüllt: der Gesellschaft den Spiegel und der Regierung ihr neofeudalistisches Handeln vorzuhalten. Im Gegenteil.
Viele haben das System schamlos hofiert. Ihm gedient, anstatt es in Frage zu stellen. Siehe Smudo von den »Fantastischen Vier«, der mit seiner Luca-App im Zuge der Corona-Krise zweistellige Millionenbeträge aus Steuergeldern einstrich. Doch während Smudos Verhalten »nur« gierig und verwerflich ist, gibt Campino ein ganzes Genre der Lächerlichkeit Preis, wenn er zum Besuch von Ex-Prinz Charles im schlecht sitzenden Frack aufläuft und sein aufgedunsenes Haupt in Demut vor einem Monarchen senkt, dessen langjähriger Freund und Vertrauter – Jimmy Saville – in Großbritannien als schlimmstes Sex-Monster der Geschichte gilt. Mindestens 214 Opfer im Alter von acht bis 47 Jahren hat Saville im Lauf der Jahre missbraucht. Nicht zu vergessen Charles’ Bruder, Prince Andrew, der über zwei Dekaden hinweg enge Verbindungen zu den Kinderhändlern und Vergewaltigern Jeffrey Epstein und Ghislaine Maxwell unterhielt. Oder die dubiosen Todesumstände von Prinzessin Diana.
Ein feine Familie, diese Royals. Lebendige Vertreter eines menschenverachtenden, generationsübergreifend kriminellen Imperialismus. John Lennon hatte der königlichen Familie gegenüber zurecht harschere Töne angestimmt und seinen »Member of the British Empire«-Orden, der den Beatles aufgrund ihrer Erfolge in jungen Jahren verliehen worden war, zurückgegeben. Herrn Frege scheint all das egal zu sein. Campino ist Konformist. Vielleicht hat er aber auch einfach darauf spekuliert, mal eine Runde im extra eingeflogenen 3400-Kilo-Bentley des royalen Paares drehen zu dürfen. Das fehlt ihm vermutlich noch in seiner Sammlung herrschaftlicher Anerkennungen.
Die Kunst ist frei. Sie sollte sich keinem Zwang unterworfen, keiner Zensur ausgesetzt, keiner Ideologie verpflichtet und keiner Instrumentalisierung genötigt sehen. Doch diese Zeiten sind vorbei. Wer nach diesen tradierten Grundsätzen seinem Künstlerdasein frönt, wird gecancelt. Siehe Nena. Feiglinge, Opportunisten und Raffgeier wählen den Weg des geringsten Widerstandes. Das belegen dieser Tage anschaulich die »Scorpions«. Deren Song »Wind of Change« wird kurzerhand der Zeitenwende angepasst und umgeschrieben. Er ruft nun nicht mehr zum Frieden, sondern zum Sieg der Ukraine über Russland auf.
Ein Gast-Kommentar von Henrik Jan Mühlenbein.
Lektorat: Tom-O. Regenauer.
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