Tom-Oliver Regenauer | 05.05.2023
»Qualität ist kein Zufall. Es ist immer das Ergebnis einer intelligenten Anstrengung.« (John Ruskin)
Es gab Jahre, da habe ich über 300 Nächte im Hotel verbracht. Oft waren es zwei oder drei verschiedene pro Woche. In unterschiedlichen Zeitzonen. Das schlaucht. Umso wichtiger ist es, dass man sich in seiner temporären Unterkunft wohl fühlt. Dass man abschalten, arbeiten, Sport machen oder einfach mal ausschlafen kann. Doch wer viele Hotels von innen gesehen hat, ist sich bewusst, dass dies in den seltensten Fällen funktioniert. Denn irgendwas ist immer.
Vielleicht sind die Zimmer wieder schlecht isoliert und man hört das viel zu laut aufgedrehte TV-Gerät des Nebenraums, die laustarke Diskussion des Obermieters auf dem Balkon, die Bass-Boxen des englischen Pubs im Erdgeschoss und die Baustelle gegenüber. Oder man darf sich an einer Klima-Anlage erfreuen, die einem das Gefühl vermittelt, man säße noch im Flugzeug. Kommt man zu vorgerückter Stunde, wenn der Lärm endlich erträglich wird – oder das Gehör abgestumpft genug ist – auf den Gedanken, sich nun doch noch ein Getränk aus der Mini-Bar zu gönnen, ist diese mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit leer. Weil in der Vergangenheit zu oft die Zeche geprellt wurde.
Nun gut. Irgendwie erreicht man schließlich doch das Land der Träume. Bis man nach drei oder vier Stunden rabiat von hektisch operierenden Servicekräften geweckt wird, die gerne schon ab sechs Uhr morgens damit beschäftigt sind, den Gang zu saugen. Oder das Nebenzimmer. Manche unterhalten sich dabei parallel – und gegen den Staubsauger anbrüllend – mit ihren Kollegen, die schon fünf Räume weiter sind. Man versteht sich eben gut auf Schicht. Und weiß nichts von den Einzelschicksalen hinter all den Anonymität versprühenden Türen.
Nach einem in der Regel unsanften Erwachen, und nachdem man sich damit abgefunden hat, dass auch die Ohrenstöpsel aus dem Flieger einem nicht dabei helfen werden, nochmals einzuschlafen, akzeptiert man, dass es Morgen ist – und wünscht sich, zumindest in meinem Falle, nichts mehr als einen heißen Kaffee. Natürlich gibt es aber weder Kaffeemaschine noch einen Wasserkocher. Und wenn doch, funktioniert das als Staubfänger konzipierte Ding nicht, ist völlig verkalkt, oder die einzige freie Steckdose dafür befindet sich links unter dem Bett. Der Weg in die Dusche und den Frühstücksraum scheint im Ergebnis der leichtere zu sein.
Ist man ein Morgenmensch, mag einem der hell erleuchtete, gut gefüllte und von Gesprächen durchhallte Frühstücksraum nichts ausmachen. Aber das bin ich nicht. Und Hunger habe ich morgens ebenfalls selten. Daher ist für mich oberste Priorität, umgehend eine Tasse, oder besser gleich ein Kännchen Kaffee aufzutreiben. Ist dieses nach mehr oder weniger zeitraubendem Beschaffungsprozess endlich auf dem letzten freien Tisch neben dem geschäftigen Ausgang platziert, nimmt man sich dann doch was vom Buffet. Wenn man schon mal da ist. Spart ja auch das Mittagessen. Und um 18:00 Uhr ist bereits das nächste Geschäftsessen geplant. Leider sehen die ausliegenden Waren der Frühstücksarrangements oft besser aus als sie mit dem vom Zeitzonen-Hopping gereizten Magen oder individuellen Essensrhythmus harmonieren.
Und das wiederum rächt sich gerne im Rahmen der kulinarisch konnotierten Verabredung am Abend. Oder bereits zuvor. Im hauseigenen Fitness-Center, das leider kein eigenes WC vorzuweisen hat, weshalb man in dringenden Fällen kurzfristig die 28 Stockwerke bis zum eigenen Zimmer überwinden muss. Murphy’s Law sieht vor, dass just in diesem Moment eine Reisegruppe von mindestens zwanzig Personen den Check-in erledigt hat und sich mit Koffern vor den Fahrstühlen tummelt. Oder dass es Schabbat in Tel Aviv ist und der Lift in jedem Stockwerk hält, weil die Instrumententafel aus religiösen Gründen deaktiviert ist. Oder man sich in einem Hotel in Saudi Arabien befindet, wo gerade nur der gesonderte Lift für Frauen funktioniert.
Hotels sind eine Welt für sich. Vor allem für Vielreisende, die nach langwierigen Interkontinentalflügen schlaftrunken und gerne zu gewöhnungsbedürftigen Uhrzeiten über leere Flughäfen, Bahnhöfe oder Hotelflure schlurfen. Es ist eine einsame und gleichförmige Welt. Egal ob Frankfurt, New York, London, Bukarest, Tel Aviv, Madrid, Mexico City oder Johannesburg – Zimmer, Abläufe, Rezeptionen, Aufzüge und Einrichtungen sind nahezu identisch. Und das Versprechen vieler Hotels, eine Heimat weit weg von der Heimat zu bieten, »A Home Away From Home« zu sein, wird eigentlich nie erfüllt. Was einen auf solchen Business-Trips bei Laune hält, ist die Gewissheit, in ein paar Tagen wieder mal zwei Nächte im eigenen Bett schlafen zu können.
Aber es gibt sie, die wenigen Ausnahmen, die die Regel bestätigen. Eine davon befindet sich am Potsdamer Platz in Berlin. In puncto Klientel, Kultur und Nachtleben nicht gerade mein präferiertes Viertel, dafür aber verkehrstechnisch günstig gelegen und nachts nicht allzu laut. Zudem befindet sich gegenüber des gut zu erreichenden Sony Centers das »Mandala«.
Eine Oase von Hotel. Ein privat geführtes Kleinod in einer von Family-Brands, Ketten und Konglomeraten kontrollierten Branche. Denn all die kleinen und großen Ärgernisse, die ich vorgängig beschrieben habe, werden einem dort garantiert nicht die Stimmung trüben. Auch die unzähligen anderen Unannehmlichkeiten und Störfaktoren, die mir in Bezug auf Hotels nach fast zwei Jahrzehnten beruflichen Reisens einfallen, sind bei einem Besuch im »Mandala« kaum zu erwarten. Das Haus hat Stil, einen grandiosen, immer freundlichen Service und bietet vor allem eines – Ruhe.
Alle Zimmer haben eine kleine Küchenzeile mit Kühlschrank, jedes Gerät funktioniert, es gibt überall Steckdosen, die Räume sind einladend hell dekoriert und lichtdurchflutet, können zum Schlafen aber auch tagsüber gut abgedunkelt werden. Die Betten sind bequem, die Kissen super, Fernbedienung und Telefon sind nicht völlig eingestaubt, sondern picobello sauber, ebenso die großen Bäder. Balkone in jedem Zimmer erlauben einen Gang an die frische Luft, das Fitness-Center im elften Stockwerk ist modern ausgestattet und der Spa-Bereich auf der gleichen Etage eine Wucht.
Das Frühstück sucht seinesgleichen, die Bar ist bequem für einen kleinen Lunch oder netten Drink am Abend und das hauseigene Restaurant serviert vom Feinsten. Wobei die Abendkarte durchaus für den gut gefüllten Geldbeutel und nicht für den weniger gut gefüllten Magen ausgelegt ist. Für den großen Hunger oder deftige Hausmannskost geht man einfach gegenüber zum Touristen-Bavarianer und bestellt sich die günstige wie reichhaltige Gulaschsuppe, Wurstsalat oder ein Schnitzel.
Ein besonderes Phänomen ist der Zimmer-Service. Man muss quasi Glück haben, um ihm überhaupt zu begegnen. Denn egal wann man das Zimmer verlässt, hat man den »Make up Room«-Button beim Hinausgehen gedrückt, kann man sich praktisch sicher sein, dass das Bett gemacht und alles aufgeräumt ist, wenn man zurück kommt. In der Mini-Bar befinden sich übrigens tatsächlich Getränke. Und sie werden täglich zuverlässig aufgefüllt.
Das Mandala-Hotel ist eines von drei oder vier Hotels weltweit, in dem ich es schaffe, auszuschlafen. Oder nach internationalen Flügen zu chaotischen Zeiten etwas Bettruhe nachzuholen. Man hört nämlich fast nichts von der Außenwelt. Oder vom Hotelbetrieb. Vor allem in den oberen Etagen. Nichts und niemand stört. Und im Gegensatz zu anderen Berliner Hotels vergleichbarer Kategorie sind die Preise für zum Beispiel ein »Garten-Studio« geradezu ein Schnäppchen. Darüber hinaus ist das »Mandala« – neben Ferienunterkünften in der Natur oder am Meer natürlich – das einzige Hotel, bei dem ich am Abreisetag denke: »Schade, eigentlich würde ich gerne noch ein paar Tage bleiben«.
Das ist der »intelligenten Anstrengung« des Schweizer Besitzers zu verdanken, der sich täglich persönlich davon überzeugt, dass in seinem Betrieb alles so läuft, wie sein Anspruch es von ihm verlangt. Das »Mandala« trägt die Handschrift seines Inhabers. Es hat Charakter. Das zeigt sich schon daran, dass man in den Zimmern nicht von billigen Werbebroschüren, »Wokeness«-Insignien oder Klatsch-Gazetten belästigt wird, wie es in den meisten Hotels der Fall ist. Stattdessen stehen ein paar Bücher im Regal, auf dem Tisch liegt die aktuelle Ausgabe des Cicero – und im Regal eine deutsch-englische Zusammenfassung der allgemeinen Menschenrechte als Büchlein im Hosentaschenformat.
In Anbetracht der von grünbrauner Gentrifizierung dominierten Lage des Hotels am Potsdamer Platz, wo klimabewegte Protestler der allerletzten Generation immer mal wieder gerne ihre Hände auf den Asphalt kleben, fühlt man sich im »Mandala« geradezu wie im windstillen Auge eines Sturms.
Bild: New York Post