Tom-Oliver Regenauer | 04.12.2022
“Wer den Gedanken nicht angreifen kann, greift den Denkenden an”, so Paul Valéry, der 1945 verstorbene Poet und Philosoph. Eine vom Horror seiner Zeit aufgeladene Warnung an jene, die heute den Standpunkt vertreten, dass Krieg erst dann beginnt, wenn Bomben fallen, dass Faschismus sich erst dadurch manifestiert, dass Menschen in Lager gepfercht und eliminiert werden. Dass Nuklearkrieg führbar sei. Dem ist nicht so – denn es beginnt immer mit der Sprache. Sie fungiert als soziales Frühwarnsystem und macht deutlich, dass es bei der Diskriminierung Ungeimpfter um weit mehr ging als falsch verstandene Loyalität.
Auch handelt es sich bei der Etablierung eines totalitären Herrschaftskonstrukts nicht um einen Konflikt diametral gegensätzlicher Wertekataloge oder unterschiedlicher politischer Ideologien – es geht nicht um links und rechts –, sondern um oben und unten. Um Macht sowie die Sicherung von Stand und Status einer überschaubaren Anzahl von Krisenkapitalisten, Bankenkartellen, internationalen Konzernen, dem militärisch-industriellen Komplex, Big Tech und einer unüberschaubaren Armada supranationaler NGOs. Für sie war die mutwillig dramatisierte Gesundheitskrise eine „historische Gelegenheit". Ein Steigbügelhalter für die alternativlose Rekalibrierung der Weltwirtschaft. Während der Rest der Menschheit sich inmitten einer Katastrophe biblischer Ausmaße zu wähnen angehalten war.
Diese argumentative Position verband Marcus Klöckner und mich bei einem Gespräch, das wir kurz vor Abschluss des vorliegenden Buchprojektes zum Thema „Cancel Culture“ führten. Denn man kommt nach zweieinhalb Jahren permanenter Propaganda schlichtweg nicht mehr umhin, das Kind beim Namen zu nennen. Man muss die moralisch-ethischen Dammbrüche, die Entwertung von Sprache, Logik und Kohärenz sowie die Unterdrückung unliebsamer Meinungen als das bezeichnen, was sie repräsentieren: Das Korrelat zu düsteren Zeiten vor dem „Nürnberger Codex“ – den Faschismus.
Und der benötigt – entgegen landläufigen Ansichten –, kein Parteibuch. Hitler war genau so ein verblendeter Despot wie Mao. Mussolini nicht besser als Kim Jong-un. Schlussendlich stehen all die Herrschaftsmodelle für ein und dasselbe: Tyrannei. Sie frisst sich durch Echokammern und Angsträume wie ein wuchernder Tumor. Kontaminiert systematisch kupierte Debattenräume wie ein Virus. Der Transmitter ist das Wort. Und das betrübliche Resultat fortschreitender Erkrankung ist die Erosion der sozioökonomischen Strukturen, des zivilgesellschaftlichen Zusammenhaltes, der eine basisdemokratisch-wehrhafte Demokratie gegen die Ermächtigung totalitärer Kräfte wappnen sollte.
Doch wie das vorliegende Werk belegt, haben die medialen Spaltpilze ihre Wirkung nicht verfehlt. Das ohrenbetäubende Schweigen von Justitia und Vierter Gewalt seit März 2020 offenbarte, dass wir es nicht mehr nur mit einer inkompetenten Administration und der üblichen Korruption à la Olaf Scholz zu tun haben – au contraire –, sondern mit mutwilliger Übergriffigkeit sowie dem Duktus und Rechtsverständnis eines Ancient Régime.
Wir vernehmen den Schlussakkord des Kasino-Kapitalismus im Postfaktum des Medienzeitalters. Begleitet von konformistischer Kunst und intellektuellem Inzest bewirbt er das Resultat seiner sozialdarwinistischen Metamorphose hin zum vollendeten Korporatismus. Eine Regierungsform, die schon Benito Mussolini als „die perfekte Verbindung der Macht von Staat und Konzernen“ lobte. Es sind oktroyierte Transformationsprozesse in Richtung Technokratie nach chinesischer Couleur.
Das verbindende Element von Corona-Krise, postulierter Klima-Apokalypse, Ukraine-Krieg und dem durch die hausgemachte Wirtschaftskrise heraufziehenden „Wutwinter“ in Dunkeldeutschland? Bei jedem der vorgängig genannten Themenkomplexe kommen die gleichen Kommunikationswerkzeuge zum Einsatz. Inspiriert von Edward Bernays, dem Pionier moderner Propaganda und Massenindoktrination. Es sind die Mittel und Methoden eines im temporär-dauerhaften Ausnahmezustand operierenden Staatsapparates, der keinen Gedanken daran verschwendet, einmal gewonnene Machtfülle wieder zu reduzieren. Das Freiheit nur erkämpft, aber nie gewährt wird, sollte uns die Geschichte gelehrt haben.
Den Gemeinwohlgedanken haben Spitzenpolitiker zu Gunsten einer multipolaren Global Governance der „Öffentlich-privaten Partnerschaften“, einer neuen Gesellschaftsordnung, ad acta gelegt. Instrumentalisierte Katastrophen bereiten einem als „Vierte Industriellen Revolution“ verklärten Neofeudalismus die Bühne. Die Freiheit stirbt dieser Tage eben nicht mehr nur „zentimeterweise“, wie Guido Westerwelle es bei seiner Abschiedsrede als FDP-Vorsitzender am 13. Mai 2011 in Rostock formulierte. Und auch die roten Linien haben wir semantisch bereits alle hinter uns gelassen.
„Wenn das Denken die Sprache korrumpiert, dann korrumpiert die Sprache auch das Denken“, warnte George Orwell, der Autor von „1984“. Nicht umsonst ist ein Kernelement seiner Dystopie vom omnipräsenten Überwachungsstaat die Durchsetzung des „Neusprech“. Also einer pervertierten, entwerteten, inhaltslosen Kommunikationsform, die sich in der Doppelmoral der hier gesammelten Zitate widerspiegelt. „Neusprech“ dient als Hebel zur Kontrolle von Gedanken, Emotionen und Handlungsmustern der zusehends isolierten wie sedierten Massen. Denn das einzige, was Menschen erlaubt, tiefe, persönliche Verbindungen aufzubauen, über weite Distanzen hinweg effektiv zu kommunizieren und konstruktiv zu diskutieren, ist eine gemeinsame sprachliche Ebene.
Dass genau jene Institutionen dieses wichtigste, verbindende Element einer freiheitlich organisierten Gesellschaft mit ihren Umdeutungen malträtiert haben, die gemäß Pressecodex, Amtsgelübde oder hippokratischem Eid angehalten sind, es zu schützen, ist eine veritable Schande. Ob der Geschichtsvergessenheit, die sich in den zusammengetragenen Zitaten ausdrückt, muss man schlichtweg anerkennen, dass das „New Normal“ nichts mehr mit tradiertem Demokratieverständnis, unabhängiger Willensbildung, Partizipation oder der „Autonomie des souveränen Individuums“ zu tun hat. Denn die Sprache ist stets Ausdruck ihrer Zeit. Und selten war ihr Tenor totalitärer konnotiert als in den vergangenen 30 Monaten.
Angesichts dieser Umstände fordern sich Freiheitsdrang und Aktionismus fruchtlos heraus, wenn supranationalem, technokratischen Korporatismus mit Mitteln repräsentativer Demokratie auf nationaler Ebene Einhalt geboten werden soll. Wenn diesem nicht mehr durch das simple Überqueren einer Landesgrenze zu entkommen ist, die Freiheit nicht mehr einfach hinter einer Mauer im Westen wartet. „Die Zukunft soll man nicht voraussehen wollen, sondern möglich machen“, forderte Antoine de Saint-Exupery. Genau das ist die Aufgabe jedes Einzelnen – und vor allem jener, die das schärfste Schwert der Aufklärung zu führen wissen –, das geschriebene Wort. Die „Zeitenwende“ erfordert ein Aufbegehren der Vernunft. Eine Renaissance der Courage. Und die – unter Umständen –, letzte Revolution des freien Geistes.
Hinweis: Den Text habe ich auch als Podcast eingelesen. Diesen kann man sich auf dem
YouTube-Kanal von Rubikon anhören.
Bild: Netzfund