Tom-Oliver Regenauer | 12.11.2023
Der Dritte Weltkrieg. Vielleicht sogar der erste Atomkrieg – die dunkle Vorahnung einer heraufziehenden Katastrophe biblischen Ausmaßes schwebt über unseren Köpfen wie ein Damoklesschwert. Wie die unheilvolle Prophezeiung des Nostradamus’, die für 2023 den Beginn eines Krieges in Aussicht stellt, der sieben Monate dauern soll. Oder wie der seit langem im Internet kursierende, aber augenscheinlich gefälschte Plan von Albert Pike, dem berüchtigten US-Konföderationsgeneral, Rassisten, Sklaverei-Verfechter und Mitbegründer des Ku Klux Klan, der drei Weltkriege zur Erringung der Weltherrschaft vorhergesagt haben soll. Vorhersagen hin oder her. Es scheint tatsächlich eng zu werden. Seit der Kubakrise stand die Welt nicht mehr so dicht am Abgrund Armageddons. Erst die Ukraine. Jetzt der Nahe Osten. Die Kriegsrhetorik nimmt Fahrt auf. Truppen werden in Stellung gebracht, Feindbilder geschärft. Mit jedem auflodernden Brandherd nimmt das Risiko eines flammenden Infernos, nimmt die Wahrscheinlichkeit einer nuklearen Apokalypse zu.
Wie die Neuauflage solch eines global eskalierenden Krieges angesichts des technologischen Fortschritts aussähe, weiß niemand mit Gewissheit. Denn während im Ersten Weltkrieg noch circa 22 Millionen Menschen starben, verloren im Zweiten Weltkrieg bereits 55 bis 60 Millionen Menschen ihr Leben. Inkludiert man Kriegsverbrechen, Shoa, Porajmos und Kriegsfolgen, sogar bis zu 80 Millionen. Dass ein potenzieller dritter Akt dieses zivilisatorischen Trauerspiels totalen Tötens kaum eine geringere Anzahl von Opfern fordern würde, ist naheliegend. Vor allem, wenn Atomwaffen zum Einsatz kommen sollten. Die Mär von der »chirurgischen Kriegsführung« bleibt eine fiebrige Fantasie der Generalitäten. Ein militarisierter Euphemismus, um industriellen Massenmord mehrheitsfähiger zu machen.
Um beurteilen zu können, ob und warum ein Dritter Weltkrieg wahrscheinlich ist, bedarf es einer Rückschau, einer Betrachtung aus der Vogelperspektive, die nationalstaatliche Interferenzen nachrangig behandelt, einer Analyse, die sich auf die übergeordnete, die geostrategische und -ökonomische Entwicklung von Governance-Strukturen fokussiert. Denn nur aus diesem Blickwinkel lässt sich beurteilen, ob jene transgenerational strategierenden Mächte, die von zwei Weltkriegen profitierten, gegebenenfalls einen weiteren Anlauf benötigen, ein tödliches Triptychon, um jene »neue Weltordnung« zu etablieren, die Imperialisten seit Ende des 19. Jahrhunderts dezidiert fordern.
In diesem Zusammenhang verwundert es kaum, dass ein Jahr vor Beginn des Ersten Weltkrieges die Federal Reserve Bank (FED), die Nationalbank der Vereinigten Staaten gegründet wurde. Oder dass ein Ergebnis des Ersten Weltkrieges die Gründung des Völkerbundes war, der »League of Nations«. Die Organisation nahm als Resultat der »Pariser Friedenskonferenz« am 10. Januar 1920 ihre Tätigkeit auf. Eine Dekade später entstand die »nazifreundliche«, von Geheimdiensten durchdrungene »Bank für Internationalen Zahlungsausgleich« (BIZ), die vorgeblich ins Leben gerufen worden war, um deutsche Reparationszahlungen aus dem Ersten Weltkrieg zu managen. Damit ist die BIZ die älteste international agierende Finanzorganisation.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wiederum war der 1920 entstandene Völkerbund Blaupause für die Gründung der Vereinten Nationen (UN), die offiziell am 26. Juni 1945 gegründet wurden – obwohl auf Basis der im August 1941 publizierten Atlantik-Charta, verfasst von US-Präsident Franklin D. Roosevelt und dem britischen Premierminister Winston Churchill, bereits am 1. Januar 1942 die Deklaration der Vereinten Nationen erfolgte. 26 Staaten der Anti-Hitler-Koalition traten dem neuen Bündnis im Zuge der »Arcadia-Konferenz« in Washington (USA) bei. Sie gelten seither als Gründungsmitglieder der UN.
Dass Roosevelt und Churchill ihre Atlantik-Charta zur Grundlage eines neuen supranationalen Friedensbündnisses machten, obgleich ein solches mit dem Völkerbund bereits existierte, dürfte auf den Anspruch des angloamerikanischen Establishments zurückzuführen sein, diese schon bald weltumspannend operierende Organisation anstelle der Europäer zu dominieren. Und genau das taten Großbritannien und Amerika fortan. Schon die Bezeichnung »United Nations« soll auf einen Vorschlag von Roosevelt zurückzuführen sein. Auch das erste offizielle UN-Poster, das mit dem ikonischen Wahrzeichen der USA – der Freiheitsstatue – aufwarten kann, spricht dahingehend Bände.
Das Ende des Zweiten Weltkriegs zeitigte mit dem Bretton Woods Abkommen die Geburtsstunde des herrschenden Weltfinanzsystems. Die Weltbank (1944), der Internationale Währungsfonds (1945), die UNESCO (1945) und die WHO (1948) entstanden.
So führt mit den Kataklysmen des großen Krieges eines zum anderen. Problem, Reaktion, Lösung. »War is a racket, it always has been« – Krieg ist ein schmutziges Geschäft! – wie Smedley Butler, hochdekorierter General des United States Marine Corps und zweimaliger Empfänger der »Medal of Honor«, im Jahr 1935 zu sagen pflegte. Auch der französische General Ferdinand Foch schien sehr genau zu wissen wovon er sprach, als er nach dem Ende des Ersten Weltkrieges und zum Versailler Vertrag bemerkte:
»Das ist kein Frieden. Es handelt sich um einen Waffenstillstand für 20 Jahre.«
Die Geschichte der beiden Weltkriege lässt sich in der Tat nicht separiert erzählen. Die beiden Ereignisse hängen – wie Foch seinerzeit korrekt prognostizierte – eng zusammen, bauen aufeinander auf. Die supranationalen Strukturen der Gegenwart konnten nur durch die historische Zäsur des Zweiten Weltkrieges entstehen. Und ein zweiter Weltkrieg nur, weil wir bis heute mit den geopolitischen Folgen des ersten zu kämpfen haben. Damit stellt sich unweigerlich die Frage, wie der Erste Weltkrieg überhaupt entstand. Was löste den Konflikt aus? Welche geopolitische Dynamik begünstigte die Entwicklung zum globalen Fiasko? Welche Kräfte induzierten diese Dynamik? Und – Cui bono? – wer profitierte davon?
Nach Auffassung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, der hochherrschaftlichen Lesart der Geschichtsschreibung, dauerte es im Jahr 1914 »weniger als sechs Wochen, um die Welt in einen Weltkrieg zu stürzen. Nach dem Attentat auf einen Thronfolger folgte ein fataler Absturz der diplomatischen Beziehungen zwischen den Staaten. Unter großem Jubel zogen Hunderttausende in die Schlacht, auch in Deutschland.« Mal ganz abgesehen von der schlichten Semantik: Von Simplifizierung zu sprechen, wäre in Anbetracht dieser sträflich unterkomplexen Darstellung noch ein Lob. Lüge durch Unterlassung träfe es besser.
Denn mittlerweile ist bekannt, dass das Attentat auf Erzherzog Franz Ferdinand eine Falle war. Eine Verschwörung. Sechs mit Handfeuerwaffen und Bomben bewaffnete Killer erwarteten den Thronfolger von Österreich-Ungarn, der streng nach Zeitplan und auf einer zuvor bekannt gegebenen Route durch Sarajevo chauffiert wurde. Ein erster Mordversuch scheiterte. Die in das royale Fahrzeug geworfene Bombe fiel heraus und zu Boden. Sie explodierte unter dem vorausfahrenden Wagen. Franz Ferdinand flüchtete sich zu Fuß ins Rathaus und sagte alle weiteren Termine ab, um ins Krankenhaus zu fahren. Sein Fahrer nahm dabei jedoch zufällig die falsche Route – und als er angewiesen wurde zu wenden, kam Franz Ferdinands Transport direkt vor Gavrilo Princip zum Stehen, einem der sechs noch immer herumstreichenden Auftragskiller. Dieser feuerte zwei Schüsse ab und tötete den Erzherzog sowie dessen Frau. Nedjelko Cabrinovic, der glücklose Bombenwerfer, starb am 20. Januar 1916 im Gefängnis. Gavrilo Princip, der, genau wie Cabrinovic, Mitglied des militanten serbischen Geheimbundes »Schwarze Hand« war, starb zwei Jahre später nach einer ominösen Operation in einem Krankenhaus in der Nähe seines Gefängnisses.
Wenn das Attentat auf den Thronfolger im Juni 1914 der Zündfunken gewesen sein soll, der den Ersten Weltkrieg entfachte, wenn es ein perfides Mordkomplott war, wie sogar die manipulative »Geschichtsschreibung der Gewinner« unumwunden eingesteht – warum packte die »Schwarze Hand« zu? Was motivierte die Gruppe zu dem Attentat? Nach Dafürhalten der Washington Post und anderer Leitmedien primär innenpolitische Verwerfungen und regionale Scharmützel, die aufgrund der brenzligen geographischen Lage entstanden. Warum der Balkan in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg eine derart instabile Region war, wird dabei aber kaum erschöpfend erklärt.
Um das zu leisten, müsste man den Blick gen Großbritannien richten. Denn im ausgehenden 19. und angehenden 20. Jahrhundert wurde Weltpolitik noch immer primär in London gemacht – dem Zentrum des »Empire«. Noch galt die »Pax Britannica«, das britische Prinzip der Welt- und Kolonialherrschaft. Denn nach dem Sieg über Frankreich hatte Großbritannien außer dem Russischen Reich keine ernstzunehmenden Rivalen mehr. Es war das »imperiale Jahrhundert« – wie man den Zeitraum zwischen 1815 und 1914 gerne bezeichnet. London herrschte nicht nur über zahllose Kolonien in aller Welt, sondern beeinflusste dank der britischen Dominanz über die Weltwirtschaft auch vermeintlich souveräne Staaten wie China. Die blaublütigen Imperialisten und ihre »Britische Ostindien-Kompanie« hatten ganze Arbeit geleistet. Siehe Opium-Kriege. Mit kriminellen und barbarischen Methoden hatten sich die Kolonialisten von der Insel seit dem frühen 17. Jahrhundert ein Reich geschaffen, in dem »die Sonne« auch zu Beginn des Ersten Weltkrieges »nie unterging«. Die New York Times schrieb diesbezüglich in einem Artikel vom 4. September 2019:
»The Original Evil Corporation: Die Ostindien-Kompanie, ein Handelsunternehmen mit eigener Armee, war meisterhaft darin, Regierungen zu ihrem eigenen Vorteil zu manipulieren. Es ist der Prototyp für die heutigen multinationalen Unternehmen.«
Das angelsächsische Establishment konnte mit sich zufrieden sein. Doch eine Schmach konnte man in den feinen Londoner Salons auch auf dem Gipfel der Macht niemals so ganz verwinden – den Verlust der dreizehn Kolonien, die sich nach Ende des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges mit dem »Frieden von Paris« im Jahr 1783 endgültig von der Krone lossagten. Seit diesem Zeitpunkt, und nachdem sich bei den britischen Geostrategen die Erkenntnis durchgesetzt hatte, dass den neu gegründeten Vereinigten Staaten militärisch künftig nur noch mühsam beizukommen war, sinnierte man in London über andere Wege, die es den Angelsachsen erlauben würden, die Kontrolle über die Abtrünnigen wiederzuerlangen.
Etwas mehr als einhundert Jahre nach dem Pariser Frieden schickten sich fünf der einflussreichsten Männer ihrer Zeit an, dieses Ziel zu erreichen. Den Beginn ihres Vorhabens markiert ein verschwiegenes Treffen im Februar 1891. Unter Leitung des Imperialisten, Rassisten, Sklavenhalters und Diamantenhändlers Cecil Rhodes, dem wohlhabendsten Individuum seiner Zeit, wurden konkrete Pläne gefasst, wie das britische Weltreich Genugtuung für die Niederlage jenseits des großen Teiches erfahren und seine Vormachtstellung künftig ohne kostenintensive militärische Operationen erhalten und ausbauen kann. Mit Manipulation, Intrigen und Propaganda. Mit Verträgen, anstelle von Waffen. Durch Gründung supranationaler Organisationen.
Neben Rhodes anwesend waren William T. Stead, der bekannteste Publizist jener Ära, und Reginald Baliol Brett alias Lord Esher, enger Vertrauter von Königin Victoria und wichtigster Berater von König Edward VII und König George V. Als viertes Mitglied bestellte man den bestens vernetzten Staatsmann Viscount Alfred Milner, der fortan die operative Leitung der Gruppe übernehmen und von Dezember 1916 bis November 1918 das wichtigste Mitglied des Kriegskabinetts von David Lloyd George werden sollte. Der letzte im Bunde war Walter Rothschild, 2. Baron Rothschild, wohlhabender Repräsentant der berüchtigten Finanzdynastie und wichtigster Geldgeber. Nach Auskunft des offiziellen Familienarchivs der Rothschilds arbeite man eng und gerne mit Rhodes zusammen. In von den Rothschilds selbst publizierten Quellen wird Rhodes als »Agent« des Clans bezeichnet. Er arbeitete bereits für Nathan Rothschild, 1. Baron Rothschild, den Vater von Walter Rothschild. Die Rothschilds unterstützten Rhodes unter anderem bei der Gründung von De Beers und der damit einhergehenden Quasi-Monopolisierung des Diamantenmarktes. Empfohlen wurde Cecil Rhodes den Rothschilds gemäß hauseigenem Archiv von Lord Randolph Churchill, dem Vater des späteren Premierministers Sir Winston Churchill. Randolph war bereits seit längerem als Berater für die international operierende Bankiersfamilie tätig. Selbst Wikipedia weiß zu diesen historischen Tatsachen zu berichten und schreibt:
»Churchill war ein enger Freund von Nathan Rothschild, 1. Baron Rothschild, und erhielt umfangreiche Kredite von den Rothschilds. Er berichtete in ihrem Namen über die Bergbauindustrie in Südafrika, wo ihr Agent Cecil Rhodes Bergbauvorkommen konsolidierte, was schließlich zur Gründung von De Beers führte.«
Das Treffen im Februar 1891 kam also nicht von ungefähr. Das Netzwerk der Mächtigen und Willigen stand bereits. Was fehlte, war Organisation. Cecil Rhodes, dem sein brachiales Wirken in Südafrika – siehe Rhodesien und Genozid-Diamanten von De Beers – den Spitznamen »Colossus« einbrachte, hatte mehr als siebzehn Jahre auf diesen Moment hingearbeitet. Stead wurde am 4. April 1889 in die Planungen eingeweiht, Lord Esher am 3. Februar 1890. Alfred Milner direkt nach dem ersten Meeting. Die Gruppe nannte sich zunächst »Society of the Elect«. Nach Cecil Rhodes’ Ableben im Jahr 1902 fand sie ungebrochene Fortsetzung in »Milner’s Kindergarten«, der den Einfluss des Zirkels auf Politik, Wirtschaft und Gesellschaft massiv ausweitete, um später im sogenannten Round Table Movement aufzugehen, das in modifizierter Form bis heute besteht – genau wie der Rhodes-Trust, dessen elitäre Stipendiaten seit 120 Jahren an exponierter Stelle »die Welt verändern«.
Dass es sich bei Rhodes’ »Society of the Elect« weder um eine harmlose Männerrunde noch um ein wirkungsloses Strohfeuer politischer Hirngespinste handelte, sondern diese kleine Gruppe einflussreicher Menschen ab Mitte der 1890er-Jahre tatsächlich Mittel und Wege fand, um weitreichendste geopolitische Veränderungen zu forcieren, zeigt allein der Umstand, dass es der erklärte Zionist Walter Rothschild und der Schattenpolitiker Alfred Milner waren, die die tragenden Rollen bei der Verabschiedung der folgenschweren Balfour-Deklaration im Jahr 1917 spielten.
»67 Worte, die zur Schaffung des Staates Israel führten«, wie der offizielle Internetauftritt verlauten lässt.
Die fünf verschiedenen Versionen der knappen Erklärung wurden zum 100-jährigen Jubiläum auf der Webseite »balfour100.com« veröffentlicht. Sie zeigen, dass der Namensgeber, der damalige britische Außenminister Arthur James Balfour, außer seinen Insignien praktisch nichts zu dem Dokument beitrug. Sein Name und seine politische Stellung als Vertreter der den Nahen Osten dominierenden Kolonialmacht hatten offenbar lediglich den Zweck, den Machtanspruch des von Walter Rothschild vertretenen Zionismus in der Region zu legitimieren. Das unterstreicht auch das auf der Balfour-Seite dargebotene Interview mit Jacob Rothschild, 4. Baron Rothschild, dem amtierenden Familienpatriarchen, der unter anderem im Vorstand der Blackstone Inc. oder von Sky Television saß und mit zwei Milliarden Pfund bis heute einen der größten Fonds an der Londoner Börse kontrolliert.
Entstanden ist die Deklaration übrigens im Rahmen der »Balfour Mission«, einer formellen diplomatischen Visite der britischen Regierung in den USA, die im Jahr 1917 kurz nach der amerikanischen Kriegserklärung gegenüber Deutschland stattfand. Nicht, wie die »Geschichtsschreibung der Gewinner« es gerne vermuten lässt, am Schreibtisch von Arthur James Balfour. Auch wenn das Möbel heute als Ausstellungsobjekt in einem Museum Tel Avivs zu »bewundern« ist. Noch vor dem Ende des Ersten Weltkrieges – und vorrangig auf das Betreiben von Rhodes’ erweitertem Netzwerk hin – waren damit jene geostrategischen Verhältnisse geschaffen, die nun gut 100 Jahre später das Potenzial haben, den dritten loszutreten.
Die Zusammenarbeit zwischen Großbritannien und den USA vor, während und nach dem Ersten Weltkrieg legte das Fundament für das moderne »Anglo-American Establishment« – das nach Auffassung von renommierten Autoren wie Anthony Sutton oder Caroll Quigley bis heute als Hegemon die Welt kontrolliert. Die »Society of the Elect«, die Gesellschaft der Auserwählten, verhalf den Ideen der Eugenik, Bewegungen wie der »Fabian Society« und sämtlichen supranationalen Herrschaftskonstrukten der Gegenwart, zu reüssieren. Und wenn Rhodes’ Round-Table-Bewegung es fertigbrachte, signifikanten Einfluss auf das britische Kriegskabinett oder historisch relevante Entscheidungen wie die Balfour-Deklaration zu nehmen, lohnt sich vermutlich auch ein Blick auf die Umtriebe seiner Zirkel in den Jahren vor dem Beginn des Ersten Weltkrieges. Denn die Auftraggeber der »Schwarzen Hand« liegen noch immer im Dunkeln.
Seine weitreichenden wie präzisen Pläne für die Weltherrschaft des weißen, englischsprachigen Mannes, den er als die alleinige Krone der Schöpfung erachtete, umriss Cecil Rhodes schon 1890 in persönlichen Briefen an William T. Stead, der Rhodes’ machtbesoffenen Visionen als dessen Testamentsvollstrecker auch noch posthum zu Geltung verhalf. Genau wie Nathan, 1. Baron Rothschild, der ebenfalls als Testamentsvollstrecker eingesetzt und federführend bei der Etablierung der Rhodes-Stipendien war. Im Familienarchiv der Rothschilds liest man diesbezüglich:
»Es (das Rhodes-Stipendium) ist nach wie vor der älteste und renommierteste internationale Postgraduiertenpreis. Rhodes und Nathaniel kannten sich gut. Er hatte Cecil Rhodes bei der Entwicklung der British South Africa Company und des Diamantenkonglomerats De Beers unterstützt.«
Ein aufschlussreicher Artikel der New York Times vom 9. April 1902 fasst Rhodes’ Memos an William T. Stead zusammen und erläutert, welches Ideal globalisierter Zukunft der Namensgeber von Rhodesien insinuierte. »Er glaubte, ein wohlhabender Geheimbund solle daran arbeiten, den Weltfrieden und eine britisch-amerikanische Föderation zu sichern«, so das Blatt. Sobald die USA dank Infiltration und Assimilation wieder unter Kontrolle des britischen Empire stünden und damit die Weltherrschaft der angloamerikanischen Eliten gesichert sei, so Rhodes, könne man im Wechsel alle fünf Jahre Wahlen abhalten, einmal in den USA und dann in Großbritannien, um der Bevölkerung das Gefühl von Partizipation zu suggerieren. Was der Text der New York Times bereits verkürzt umreißt, wird im Testament von Cecil Rhodes auf über 200 Seiten detailliert beschrieben. Im Kapitel »politische und religiöse Ideen« erfährt man unter anderem:
»Als reicher Mann stand Mr. Rhodes nicht im Wettlauf mit Mr. Carnegie, Mr. Rockefeller oder Mr. Astor. Aber obwohl es viele wohlhabendere Männer gab, erkannte keiner von ihnen vor Herrn Rhodes die Möglichkeiten, die Reichtum seinem Besitzer bietet, um die Welt zu beherrschen. Die großen Finanziers Europas haben ihre Macht zweifellos oft genutzt, um Friedens- oder Kriegsfragen zu kontrollieren und die Politik zu beeinflussen, aber sie handelten immer aus rein finanziellen Motiven. (…) Um dieses Ziel zu erreichen, haben sie bei politischen Deals oft eine führende Rolle übernommen. Doch Herr Rhodes hat die Operation umgekehrt. Bei ihm standen immer politische Erwägungen im Vordergrund. Wenn er den Markt nutzte, tat er dies, um sich die Mittel zur Erreichung politischer Ziele zu sichern. Daher ist es keine Übertreibung, ihn als den ersten – er wird nicht der letzte sein – Millionärsmonarchen der modernen Welt zu betrachten.«
Rhodes hatte die erklärte Absicht, die gesamte »unzivilisierte Welt« der weißen, englischsprachigen Rasse zu unterwerfen. Völker, die in seinen Augen als minderwertig galten, sollten versklavt oder ausgerottet werden. Sein Ziel war eine Weltregierung unter britischer Ägide, eine einheitliche Sprache und eine Weltreligion. Ab Seite 68 erklärt er:
» (…) Wenn dieser Name (Rhodes) überall mit dem Ziel Englands verbunden wird, könnte der Name vielleicht den Ursprung einer Idee vermitteln, die letztendlich zum Ende aller Kriege und einer einheitlichen Sprache auf der ganzen Welt führte, wobei das Patentrezept dazu die schrittweise Übernahme von Reichtum und menschlichem Geist höherer Ordnung ist. (…) Wenn wir Amerika nicht verloren hätten, oder wenn wir uns schon jetzt mit den gegenwärtigen Mitgliedern der Versammlung der Vereinigten Staaten und unseres Unterhauses einigen könnten, wäre der Frieden der Welt für alle Ewigkeit gesichert! Wir könnten alle fünf Jahre Wahlen abhalten, mal in Washington und mal in London. Das Einzige, was zur Verwirklichung dieser Idee funktioniert, ist eine geheime Gesellschaft (nach dem Vorbild der Jesuiten), die nach und nach den Reichtum der Welt aufnimmt, um ihn einem solchen Ziel zu widmen.«
Der US-Autor und Historiker Richard Grove kommentierte Rhodes’ Umtriebe zu Beginn des 20. Jahrhunderts in einem Interview wie folgt:
»Das Testament enthält das Ziel. (…). Und dann, als er 1902 stirbt, existiert die Finanzierung, es gibt einen Plan, es gibt eine Agenda, es gibt Arbeitsgruppen, es geht los (…). Und dann, nicht allzu lange Zeit danach, gibt es den Ersten Weltkrieg. Darauf folgt der Zweite Weltkrieg. Und dann folgt ein Jahrhundert der Kontrolle und Sklaverei, das wirklich hätte verhindert werden können.«
Auch der Autor des Buches »Hidden History: The Secret Origins of the First World War«, Gerry Docherty, ist davon überzeugt, dass die fragile geopolitische Lage, die das Szenario eines Ersten Weltkrieges überhaupt erst möglich machte, primär auf die Aktivitäten des britischen Establishments zwischen 1891 und 1914 zurückzuführen ist – und der Krieg einen bewusst herbeigeführten Kataklysmus zur Etablierung internationaler Machtstrukturen darstellt. Geheim waren die imperialistischen Pläne des Round-Table-Zirkels seinerzeit nicht. Rhodes’ und Co. warben öffentlich für ihre Vorhaben. Dabei gaben sie allerdings stets vor, für den Weltfrieden zu kämpfen, obwohl ihr Interesse vor allem Kriegen galt.
Eine der ersten »Leistungen« der Round-Table-Gruppe war es, Großbritannien in einen blutigen militärischen Konflikt in Südafrika zu verwickeln – den Burenkrieg. In einem Artikel vom 7. März 2013 schrieb der SPIEGEL diesbezüglich:
»Britischer Tycoon Cecil Rhodes führte Großbritannien in den Burenkrieg: Der Burenkrieg (1899 bis 1902) wurde Englands größter und kostspieligster Waffengang seit den Napoleonischen Kriegen. Die Briten glaubten, ihren zahlenmäßig weit unterlegenen Gegner mit 75.000 Soldaten besiegen zu können, mussten schließlich aber 450.000 Männer aus dem gesamten Empire in den Kampf schicken. Sie hatten 22.000 Tote zu beklagen. Auf der burischen Seite starben 34.000 Menschen, davon 28.000 als Zivilgefangene in »Concentration Camps«. Die Briten internierten die Bevölkerung (…).«
Dieser Krieg war der britischen Elite in zweierlei Hinsicht dienlich. Zum einen vereinte der Konflikt die verschiedenen Republiken und Kolonien Südafrikas zu einer Einheit unter britischer Kontrolle. Zum anderen sicherte der Sieg dem Rothschild-Rhodes-Konsortium der »British South Africa Company« die Goldvorräte der Transvaal-Republik. Aus der Tatsache, dass sie allein für den Burenkrieg verantwortlich waren, machten weder Rhodes noch sein Mann fürs Grobe, Alfred Milner, ein Geheimnis. In einem Brief an Lord Roberts notierte Milner seinerzeit: »Ich habe die Krise ausgelöst, die unvermeidlich war, bevor es zu spät war. Es ist nicht sehr erfreulich und in den Augen vieler kein besonders lobenswertes Geschäft, maßgeblich zur Entstehung eines Krieges beigetragen zu haben.« William T. Stead, Mitverschwörer der ersten Stunde, äußerte zunächst Bedenken hinsichtlich der Kriegspläne, woraufhin Cecil Rhodes ihn wissen ließ: »Sie werden Milner in jeder Hinsicht unterstützen (…) Ich unterstütze Milner absolut vorbehaltlos. Wenn er Frieden sagt, sage ich Frieden. Wenn er Krieg sagt, sage ich Krieg. Was auch immer passiert, ich sekundiere Milner.«
Ein weiterer positiver Aspekt für Rhodes’ Imperialistennetzwerk war die Tatsache, dass Milner nach Ende des Burenkrieges und in seiner Rolle als »Hochkommissar für das Südliche Afrika und Gouverneur der Kapkolonie« eine Position innehatte, die es ihm erlaubte, neue, zumeist in Oxford ausgebildete Adepten für die Round-Table-Gruppe zu rekrutieren. Daher rührt auch die leicht spöttische Bezeichnung »Milner’s Kindergarten«. Diese ist allerdings mehr als irreführend. Schon ab 1910 veröffentlichte die Round-Table-Gruppe das bis heute erscheinende Magazin The Round Table Journal, das offensiv für die Idee einer »Föderierten Union« anstelle des britisches Weltreiches warb.
Mitglied von Milners Gruppe waren nicht nur Diplomaten, Gouverneure und Investmentbanker, sondern zum Beispiel auch der »The Times«-Herausgeber oder Lionel George Curtis, der Gründer des »Royal Institute of International Affairs« (heute: Chatham House), dem wohl einflussreichsten Think Tank der Welt, dessen US-Delegation ein Jahr später das amerikanische Pendant »Council on Foreign Relations« (CFR) in New York gründete. So wurden denn auch ausnahmslos alle Mitglieder von »Milner’s Kindergarten« im Jahr 1920 Mitglied des »Royal Institute of International Affairs«. Im Ranking der zehn einflussreichsten Think Tanks der Welt taucht »Chatham House« heutzutage nicht mehr auf. Das muss auch nicht sein, weil die in London ansässige Organisation direkt oder indirekt für die Gründung aller anderen Think Tanks in den »Top Ten« verantwortlich zeichnet.
Lionel Curtis und der Milner-Adept Philip Kerr, ein glühender Nazi-Sympathisant, riefen im November 1938 zudem die britische »Federal Union« ins Leben, eine Organisation, deren Ziel es war, nach dem Zweiten Weltkrieg eine föderale Union in Europa zu schaffen. Die Federal Union ist Vorläufer der seit 1946 bestehenden, in Den Haag ansässigen »Union Europäischer Föderalisten« (UEF), die sich für die Etablierung eines »föderalen europäischen Bundesstaates« und einer »föderalen Weltregierung« engagiert.
Welchen bis in die Gegenwart wirksamen Einfluss auf die Weltpolitik der 1854 in Gießen (D) geborene Viscount Alfred Milner als Leiter der Round-Table-Bewegung hatte, veranschaulicht bereits der kurze Absatz einer einschlägigen Online-Enzyklopädie:
»In London wurde Milner Vorstandsvorsitzender der Rio Tinto Company, was er bis zu seinem Tode bleiben sollte. In der Folge beschäftigte er sich mit der Ausarbeitung von Ideen zur Erneuerung des britischen Weltreichs auf Basis einer freien Assoziation der europäisch dominierten Dominions. Während seiner Zeit in Südafrika hatte er sich mit den Liberalen überworfen und lehnte deren Vorstellungen zum Freihandel strikt ab. Er wurde ein führender Fürsprecher des Imperialismus, setzte sich für eine Zollreform nach dem Modell der Imperial Preference ein und begründete 1909 zusammen mit einer Reihe früherer Mitarbeiter die Round-Table-Bewegung. Im Ersten Weltkrieg wurde Milner 1916 von David Lloyd George als Minister ohne Geschäftsbereich in dessen Kriegskabinett einbezogen. Er gilt als Initiator der Balfour-Deklaration von 1917. 1918 war er kurzzeitig Kriegsminister und nach den sogenannten Khaki-Wahlen im selben Jahr wurde er Kolonialminister (Secretary of State for the Colonies). In dieser Funktion nahm er an der Pariser Friedenskonferenz 1919 teil und gehörte zu den Unterzeichnern des Friedensvertrags von Versailles mit dem Deutschen Reich. Zwischen 1919 und 1920 arbeitete er Empfehlungen für das zukünftige Verhältnis Großbritanniens zu Ägypten aus.«
Seit damals hat sich wenig geändert. Bis zum heutigen Tag wird Geopolitik nicht in Parlamenten gemacht, sondern im Rahmen privater Meetings, von Machtmenschen, Finanzmagnaten, Strategen, Beratern und Schattenpolitikern, die dafür kein demokratisches Mandat innehaben. Aktuelles Beispiel: Douglas »Dougie« Smith. Der 1962 geborene Politik-Berater – so sein offizieller Titel – beriet bereits die britischen Premierminister David Cameron, Theresa May und Boris Johnson. Jetzt arbeitet er für Rishi Sunak. Dennoch taucht der Mann auf keiner offiziellen Mitarbeiterliste auf. Ein Phantom. Bis auf ein oder zwei Fotos und ein paar Zeilen zu seinem Werdegang finden sich keine stichhaltigen Informationen – obwohl Smith als mächtigster Akteur hinter der britischen Regierung gilt, als Instanz, die Premierminister inthronisieren und absetzen kann. Im aktuellen Buch von Nadine Dorries, einer ehemaligen Mitarbeiterin von Boris Johnson, die das Thema kürzlich in einem BBC-Interview zur Sprache brachte, wird Smith als »Fixer« und »die mächtigste Person, von der sie noch nie gehört haben« bezeichnet. Dorries bemängelt, dass niemand über diese illegitime Einflussnahme auf die Geschicke des Landes und damit auch seiner Verbündeten sprechen will. Wenn sie den Namen Dougie Smith erwähne, so Dorries, riete man ihr stets verschüchtert flüsternd, das Mikrofon des Smartphones zusätzlich mit der Hand bedeckend, besser nicht über Smith zu sprechen.
Im Lichte dieser Tatsachen wird deutlich, dass der geostrategische Status quo, dass die Eintrittswahrscheinlichkeit des Horrorszenarios eines Dritten Weltkrieges nicht losgelöst von den imperialistischen Umtrieben des vergangenen Jahrhunderts, oder anhand der leitmedialen Berichterstattung bewertet werden kann. Denn die Gegenwart ist gekennzeichnet durch tiefenstaatliche, supranationale Intransparenz, technokratisches Social Engineering und die geopolitischen Nachwehen des Ersten Weltkrieges – der nicht einfach binnen weniger Wochen nach dem Attentat auf Franz Ferdinand vom Zaun gebrochen wurde, sondern eindeutig auf subversive, kriminelle Aktivitäten transgenerational strategierender Kriegsprofiteure zurückzuführen ist und von Beginn an auf Wiederholung angelegt war.
Nachdem der Burenkrieg entschieden, das Gold Südafrikas geraubt, die britische Monarchie eingenordet, Rhodes gestorben und sein Testament publiziert worden war, nachdem die Round-Table-Bewegung unter Milners Leitung ab 1902 massiv an Einfluss gewonnen und ihre Protagonisten international in Stellung gebracht hatte, begann das mächtige Netzwerk der angelsächsischen Imperialisten sich der größten Bedrohung für die hegemoniale Vormachtstellung des »Empire« zu widmen: Deutschland.
Fortsetzung folgt.
Bild: Otto Dix - Der Krieg